Tschernobyls „Elite“

■ Ein britischer Psychologe stellt die erste Verhaltens–Studie der Tschernobyl–Mannschaft vor

Aus London Rolf Paasch

„Die Ingredienzen für ein weiteres Tschernobyl existieren auch in Großbritannien.“ So lautete eine der Kernaussagen des britischen Psychologen Prof. James Reason.Prof. Reason. Der Chef des Fachbereichs für Psychologie an der Universität Manchester präsentierte am Montag die Ergebnisse seiner Studie über das Tschernobyl–Team, das mit seinem Fehlverhalten für den bisher schwersten Atomunfall gesorgt hatte. Das Moskauer Elite–Team aus Ingenieuren habe in den entscheidenden Momenten die typische Pathologie von Elitegruppen an den Tag gelegt. Die Spitzeningenieure waren nach Tschernobyl geschickt worden, um die Anlage gegen einen möglichen Ausfall der Elektrizitätsversorgung besser abzusichern. Als ihre Versuche erste Auswirkungen auf das Gleichgewicht des Reaktors zeigten, so meint der Professor mit dem verpflichtenden Namen, „hätten sie ihre Experimente abbrechen sollen. Sie taten es nicht“. Dabei hätten die Elitegruppen eigene Illusion von Unfehlbarkeit und Unverletztlichkeit demonstriert. Obwohl die Bewältigung ihres Auftrags ihre Kompetenzen überschritt und die Verletzung von Sicherheitsvorschriften erforderte, hätten die Moskauer Ingenieure nicht gegen das Management aufbegehrt. „In Tschernobyl haben wir gesehen, wie verschiedene „Krankheitserreger“, die in jedem System leben, auf unvorhergesehene Weise zusammenkommen - mechanische Fehler, menschliches Versagen und falsche Entscheidungen des Managements.“