P O R T R A I T Der Verkünder und Schriftgelehrte der Reaktor–Theologie

■ Wolf Häfele, der Vater des Schnellen Brüters und Karrierist der deutschen und internationalen Atomlobby, feiert heute seinen sechzigsten Geburtstag Er prophezeite weltweit 6.222 Atomreaktoren für das Jahr 2030 / In einer „Welt des Energiesparens“ möchte er nicht leben

Vielleicht gibt es in der gesamten Bundesrepublik keinen Wissenschaftler, der einen gröberen Unsinn verzapft hat als der Messias der deutschen Atomgemeinde, Wolf Häfele. Ganz sicher allerdings gibt es keinen, dessen wissenschaftlicher Fallout die Republik mehr Milliarden gekostet und in eine schärfere gesellschaftliche Auseinandersetzung geführt hätte als Häfele mit seinen Atomvisionen. Der Oberguru der Atomfans und Vater des Schnellen Brüters wird heute 60 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch! Von mir nich, d.sin Schuld an allem hat ein badischer Pastor: Wolf Häfele wurde am 15. April 1927 als Sohn eines Pfarrers in Freiburg geboren. Dann nahm das Verhängnis seinen Lauf: Physik–Studium in München, Arbeit im Max–Planck–Institut bei C.F. von Weizsäcker, Leiter der Abteilung Reaktorgruppe des Max–Planck–Instituts Göttingen. 1960 wechselte Häfele in den Braintrust der deutschen AKW–Entwicklung und wurde Leiter des Projektes „Schneller Brüter“ im Kernforschungszentrum Karlsruhe. Hier begann er, seinen Ruf als „Verkünder und Schriftgelehrter der Reaktor– Theologie“ zu festigen. Mit dem „Gesicht eines Pietisten und der unbarmherzig–milden Überredungsdiplomatie eines Kurienkardinals“ (Spiegel), mit frisierten Kostenschätzungen und vom Irrsinn gestreichelten Energieprognosen puschte er die Atomenergie und den Schnellen Brüter nach vorn. In Sachen Brüter schwörte er Stein auf Bein, er werde 335 Mio. Mark kosten und 1973 fertiggestellt sein. Inzwischen kostet er - offiziell - 6,6 Milliarden (in Wahrheit 13–15 Mrd.) und wartet noch immer auf seine Fertigstellung. Immerhin blieb Häfele flexibel. Er korrigierte seine Kostenschätzung bald auf 500 Mio. Mark und versprach dafür, den Kalkar–Brüter „schlüsselfertig“ zu liefern. 1973 wechselte Häfele als Leiter des Projekts für Energiesysteme ins Laxenburg–Institut für Systemanalyse. Dort setzte er die gigantischste Energie–Studie aller Zeiten in den Sand. Mit einem Aufwand von 225 Forscher–Jahren und 20 Millionen Mark prophezeite der Brut–Professor den großen Energie–Boom, der nur mit massivem AKW–Zubau zu decken sei. In seiner kühnen Utopie sah er für das Jahr 2030 ein Energiewachstum um bis zu 330 Prozent gegenüber 1975 voraus. Um den energetischen Konsumrausch zu befriedigen (Häfele: „In einer Welt des Energiesparens möchte ich nicht leben“), müßten weltweit 6.222 Atomreaktoren betriebsbereit sein, 305 Wiederaufarbeitungsanlagen, 520 Zwischenlager, 40 Endlager und 75 Brennelementefabriken. Kostenpunkt für Häfeles Szenario: Bescheidene 40.000.000.000.000 DM (Vierzigtausendmilliarden Mark). Weitere 10.000 AKWs müßten in der Zeit nach 2030 errichtet werden. Das Zustandekommen dieser „Studie“ erklärt sich am ehesten aus Häfeles Wissenschaftsbegriff. Schon frühzeitig propagierte er sogenannte Projektwissenschaften, bei denen „die Forschung im großen Stil auf vorgegebene Resultate hin ausgerichtet werden soll“. Auf deutsch: Die Wissenschaftler erfüllen die politischen Vorgaben. Seinem Ruf tat die dubiose Laxenburg–Hochrechnung so wenig Abbruch wie seine Äußerung, daß mit dem Schnellen Brüter die Energie so billig werde, daß man die Stromzähler getrost abmontieren könne. Häfele blieb on top, und sein Aufstieg steht diametral entgegengesetzt zum Sinngehalt seiner Äußerungen. Anders formuliert: Wer soviel Schwachsinn verbrät, hat die besten Chancen, Karriere zu machen. Und die hat Häfele wie kein anderer der deutschen Atomlobby gemacht: Vorstandsvorsitzender der Kernforschungsanlage Jülich, Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft, Vizepräsident des Deutschen Atomforums, Mitglied der American Nuclear Society und anderer ausländischer Akademien, Vertreter der BRD im wissenschaftlichen Beirat der Internationalen Atomenergieagentur, Mitglied der Bundestagsenquete zur Energiepolitik, Bundesverdienstkreuz. Bei alldem ist Häfele sich selbst treu geblieben. Im September 1985 fragte ihn Natur: „Sind Sie nach wie vor vom Brüter überzeugt? Ist er für Sie die Zukunftstechnologie?“ Häfele: „Aber ganz sicher.“ Manfred Kriener