In Guatemalas Hochland herrscht Angst

■ 40.000 bis 50.000 Indios fielen dem Terror der Militärdiktaturen zwischen 1978 und 1985 zum Opfer. Unter dem zivilen Präsidenten Cerezo hat diese massive Verfolgung ein Ende genommen. Doch gibt es weiterhin Zivilpatrouillen und Modelldörfer, beides konzipiert im Kampf gegen die Guerilla

Aus Nebaj Rita Neubauer

Vor der Kaserne in der Kleinstadt Nebaj, im Hochland von Guatemala, haben sich rund zwei Dutzend Bauern versammelt. Kleine Bündel mit Esswaren und Wasserflaschen baumeln von ihren Schultern - aber auch Gewehre, die Soldaten kurz zuvor verteilt haben. Die Männer zählen ihre Munition ab, für jeden 30 Stück. Die Zivilpatrouille macht sich fertig für ihren Dienst. 24 Stunden lang werden sie vor der Stadt auf Zufahrtsstraßen Wache schieben oder mit den Soldaten in die Berge ziehen, um eigene Landsleute aufzuspüren. Denn hinter Nebaj beginnt die „Wildnis“, wie es der örtliche Militärkommandant ausdrückt. Und in dieser „Wildnis“ halten sich nicht nur linke Guerilleros, sondern auch guatemaltekische Bauern auf. Tausende suchten in den Wäldern des Altiplano Zuflucht vor den Massakern der guatemaltekischen Streitkräfte, als diese Anfang der achtziger Jahre ihren Feldzug gegen die Widerstands bewegungen begannen. Die indianische Bevölkerung galt allgemein als subversiv und als Unterstützer der Guerilla. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, Männer, Frauen und Kinder hingemetzelt. Rund 40.000 bis 50.000 Menschen fielen dem Terror unter den Generälen Lucas Garcia (1978–1982), Rios Montt (1982–1983) und Mejia Victores (1983–1986) zum Opfer. Rund eine Million wurde zu Flüchtlingen im eigenen Land oder suchte Schutz im benachbarten Mexiko oder Honduras. Mit dem Regierungsantritt des Christdemokraten Vinicio Cerezo vor einem Jahr fand diese massive Indianerverfolgung ein Ende. Aber Angst und Mißtrauen bestimmen weiter das Leben der Menschen in der guatemaltekischen Hochebene. Wer von den Soldaten entdeckt wird oder freiwillig das harte Leben in den Bergen aufgibt, wandert in die „Aldeas Modelo“, die Modelldörfer. Die ersten entstanden bereits unter der Regierung des Generals Rios Montt, der sich 1982 an die Macht putschte. Sie waren strengbe wachte Lager mit Wachtürmen und Zäunen. In ihnen mußten die Indianer, die früher in weitverstreuten Hütten wohnten, auf engstem Raum zusammenleben. Oft wurden verschiedene Ethnien gemischt, um ganz bewußt die kulturelle Einheit der Indianer–Stämme zu zerstören. Rund um Nebaj gibt es elf Modelldörfer. Salquil Grande, vor der Repression eine blühende Gemeinde, ist eines von ihnen. Vor fünf Jahren gab es in Salquil Grande nicht viel mehr als eine zerstörte Schule, eine niedergerissene Kapelle und einen Brunnen. Die Bewohner waren tot oder geflüchtet. Heute leben dort wieder 3.000 Menschen in einfachen, strohgedeckten Hütten ohne Strom, ohne Wasser. Eine Wasserleitung wurde schon lange in der Hauptstadt beantragt, versichert der Hilfsbürgermeister von Salquil Grande, aber man habe nie eine positive Antwort erhalten. Auch gibt es Lehrer, nur noch keine Schule, einen Gesundheitsposten aber keine Medikamente, sieben Bethäuser evangelischer Sekten, aber keine Kirche für die überwiegend katholischen Indianer. Die Feldarbeit auf den steinigen und ausgelaugten Böden ernährt die Familien nur für ein halbes Jahr. Die anderen Monate verdingen sich die Männer, oft auch die ganze Familie, an der fruchtbareren Pazifik–Küste des Landes. Dort schuften sie für einen Tageslohn von rund vier Mark auf den Baumwoll– und Zuckerrohr–Plantagen der Großgrundbesitzer. Allein für Trinkwasser während ihrer Arbeit müssen die Leute pro Liter etwa zehn Pfennig bezahlen. Die Bauern haben sich mit der Situation in den Modelldörfern mehr oder weniger arrangiert. „Hier ist es ruhiger und sicherer als in den Bergen“, meint ein Mitglied des „Komitees für Entwicklung“, das zusammen mit dem Hilfsbürgermeister den Ort verwaltet. „Dennoch hatten wir es früher besser. Wir lebten unser eigenes Leben, die Hütten standen weit auseinander, und wir konnten Tiere halten. Heute dürfen wir nur im Umkreis von zehn Kilometern anbauen und für einen Besuch im rund zwölf Kilometer entfernten Nebaj brauchen wir eine Genehmigung.“ Trotz der Selbstverwaltung der Einwohner haben in den Modell dörfern weiter die Militärs das Sagen. Sie sorgen dafür, daß die Bauern an der Zivilpatrouille zu „ihrer eigenen Sicherheit“ teilnehmen. Diese ist, wie Präsident Cerezo betont, freiwillig. Dieser Freiwilligkeit wurde vor zwei Jahren aber noch etwas nachgeholfen. In Tactic, einem Dorf in der Provinz Alta Verapaz ließ ein Armeebeauftragter Flugblätter verteilen. Ihr Inhalt war eindeutig: Wer sich vor dem Dienst in der Zivilpatrouille drücke, mache sich verdächtig und gelte als Unkraut, d.h. als Sympathisant der Guerilla. Und die Militärs hätten das Recht, dieses Unkraut auszureißen und zu vernichten. Wie verhaßt die Modelldörfer bei den Indianern sind, zeigt das Beispiel von 109 Kekchi–Indianern. Sie kehrten Ende Februar den Bergen den Rücken, wo sie sich rund sechs Jahre verborgen gehalten hatten. Hunger, Krankheiten und die ständige Angst entdeckt zu werden, brachten sie zu diesem Entschluß. „Wir haben uns von Maniokwurzeln und Chili–Bohnen ernährt, unter Planen im Freien geschlafen und alle paar Tage den Ort gewechselt“, erzählt Julio, der mit 14 Jahren sein Heimatdorf San Cristobal verließ. Ohne die Hilfe der katholischen Kirche in Coban aber wären die Indios heute noch in den Bergen. Bischof Flores hatte die Zusicherung des Gouverneurs des Departements Verapaz und die des örtlichen Kommandanten, daß die Gruppe nicht in den Modelldörfern untergebracht wird. Für sie fand sich Arbeit und Unterkunft - ein bislang einmaliger Fall in Guatemala - auf einem staatlichen Großgrundbesitz in der Nähe von Coban. Dorthin sollen die Kekchi–Indianer, fast zur Hälfte Kinder, in den nächsten Wochen umziehen. Ihre jetzige Herberge ist der über hundert Jahre alte Konvent der Katholischen Kirche in Coban. Dort werden sie medizinisch versorgt, bekommen Essen, Kleider und auch Unterricht. Aber selbst der Konvent bietet nicht immer ausreichend Sicherheit. Im vergangenen Jahr verschwanden zwei Männer spurlos aus dem Kirchengebäude. Auch sie waren freiwillig aus den Bergen zurückgekehrt. Bischof Flores schätzt dennoch, daß noch mehr Guatemalteken ihre Flucht aufgeben. Flores: „Die politische Situation hat sich etwas verbessert, die Leute wollen nicht mehr leiden, sie sagen, jetzt sind wir mit dem Gesetz, jetzt leben wir ruhiger.“