„Die Armee ist die Sonne Frankreichs“

■ Am Mittwoch beschloß die französische Nationalversammlung, im August in Neukaledonien ein Referendum über die politische Zukunft des Überseeterritoriums durchzuführen / Mit diversen Tricks wird ein Sieg der Weißen sichergestellt / Gaullisten forcieren Kolonisierung

Von Ulrich Delius

Berlin/Paris (taz) - Wenn in vier Monaten im pazifischen Neukaledonien über die Frage „Unabhängigkeit oder weitere Zugehörigkeit zu Frankreich“ abgestimmt wird, steht der Sieger schon fest. Da nach dem Willen der französischen Regierung auch die in den 70er Jahren zu Tausenden eingewanderten europäischen Siedler ihre Stimme abgeben dürfen, zweifelt niemand daran, daß auch auf mittlere Sicht die Trikolore weiter über der rohstoffreichen Insel wehen wird. Die französische Nationalversammlung beschloß am Mittwoch mit 325 gegen 249 Stimmen, daß die französische Bevölkerung des Überseterritoriums in einem Referendum über das weitere Schicksal Neukaledoniens entscheiden soll. Die von den kanakischen Ureinwohnern getragene Unabhängigkeitesbewegung FLNKS macht sich über diese Entscheidung keine falschen Hoffnungen. „Die weißen Siedler werden einen Sieg verbuchen können. Es gibt keine Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Wir Kanaken werden wie bissige Hunde angesehen“, so Jean– Marie Tjibaou, der bekannteste Politiker der FLNKS. Das Referendum ist eine Formalie, die die zunehmende Kolonisierung der Insel durch die Gaullisten seit der Machtübernahme Chiracs 1986 legalisieren soll. Auf der Insel leben 43 Prozent Kanaken und 37 Prozent Siedler, daneben Polynesier und Asiaten. Um den Partriotismus unter den betroffenen Kanaken zu fördern, ließ der französische Pazifikminister Bernard Pons unter willfährigen Ureinwohnern bereits Geldgeschenke von bis zu 11.000 Francs verteilen. Loyalen Dorfchefs wurden Straßen verspro chen und Subventionen in Aussicht gestellt. Ein Mitarbeiter erklärte unverblümt im Radio Rythme Bleu, dem Privatradio der weißen Siedler: „Ich besuche die alten und die neuen Kämpfer. Diejenigen, die die Subversion bekämpfen. Die Armee ist die Sonne Frankreichs.“ Um die Kontrolle über die drei von Kanaken beherrschten Regionen zu erhöhen (die vierte ist in der Hand der Europäer), werden Polizei– und Militärpräsenz erhöht. Während Verhaftungen und Übergriffe allerorten zunehmen und die Polizei ganze Regionen militärisch durchkämmt, versucht die Armee, sich als Freund und Helfer zu profilieren. Das neue Zauberwort heißt „Nomadisierung“: Ganze Soldatenkompanien schwärmen in die Reservate und Dörfer der Kanaken aus, schlagen für einige Tage dort ihr Lager auf, bauen Häuser, leisten erste Hilfe und spielen Fußball mit den Bewohnern. Nebenbei werden auch die Häuser auf Verdächtiges hin untersucht. Mit der Übernahme der konservativen (und einzigen) Tageszeitung Les Nouvelles durch den französischen Pressezaren Hersant konnte die gaullistische RPCR auch den Zugriff auf die lokalen Medien verstärken. Die konservative Geschäftsführung wurde gefeuert, weil sie nicht ausreichend auf Parteilinie lag. Auch Kredite und Subventionen für den Aufbau der Infrastruktur in den vernachlässigten kanakischen Gebieten sind entgegen Pariser Versprechungen seit dem Machtantritt Chiracs kaum noch in Neukaledonien angekommen. „Den von ihnen geltend gemachten wirtschaftlichen Aufschwung gibt es in Wirklichkeit nicht. Nur die Spekulationsgewinne der reichsten Bürger Noumeas haben zugenommen“, erklärten die Präsidenten der drei kanakischen Regionen kürzlich verärgert in einem Brief an Chirac. Systematisch werden den Kanaken auch Mittel für Infrastrukturprojekte vorenthalten. So wurde der von Kanaken regierten Nordregion kürzlch ein 330.000–Franc–Kredit für den Bau eines Landesteges verweigert. Dafür erhielt die europäisch beherrschte Südregion ein Darlehen von 20 Mio. Franc für den Bau eines Golfplatzes. Auf die Kritik der Kanaken antwortete ein Politiker der RPCR nur: „Sie sollen uns nicht auf die Nerven gehen. Schließlich haben sie eine Milliarde pazifische Franc (rund 55 Mio. franz. Franc) zum Herumspielen.“