Saarländische Umweltpolitik: ein Trauerspiel

■ Unglaubliche Zustände in der saarländischen Umweltpolitik dringen langsam an die Öffentlichkeit / Für den saarländischen BUND ist die Umweltpolitik „bis zum heutigen Tage ein einziges Trauerspiel“ / Seit 21 Jahren wird Antrag auf giftige Einleitungen „bearbeitet“

Aus Saarbrücken Felix Kurz

Zu einem neuen Öko–Skandal droht die Äffäre um die Einleitungsbescheide der Dillinger Hütte zu werden, die seit 21 (!) Jahren im Umweltministerium auf sich warten lassen. Neun Monate nach dem großen Fischsterben an der Saar glaubt die Saarbrücker Staatsanwaltschaft mit dem Stahlunternehmen Dillinger Hütte den Verursacher endlich gefunden zu haben (siehe taz v. 8.4.). Ein mit VS–Vertraulich abgestempeltes gemeinsames Gutachten des saarländischen Staatlichen Instituts für Hygiene und des saarländischen Landesamts für Umweltschutz, das der taz vorliegt, hat die Staatsanwaltschaft nach so langer Zeit auf die Spur zur Dillinger Hütte verhol fen. Dort heißt es, daß es damals zu sogenannten Prozeßstörungen im Hochofenbereich der Dillinger Hütte gekommen sei, „mit der Folge erhöhten Schlammanfalls und erhöhter Cyanidemission“. Rund 100 Tonnen Schlamm aus dem „Eindicker“ sammelte der saarländische Giftmülldealer Paul Müller noch am 26.7.86 ein. Wohin die toxischen Substanzen transportiert wurden, ist bis heute unklar. Teilweise wurden die anfallenden Giftstoffe aber auch über den Einleitungskanal E 16 der Hütte „entsorgt“. Der fließt in das kleine Flüßchen Prims, das wenige Meter darauf in die Saar mündet. Genau in diesem Bereich trieben die ersten Fischleichen am 26.Juli 1986. Und im Bericht heißt es weiter: „Das Ausmaß der erhöhten Cyanidemissionen war, nach den gemessenen Konzentrationen im Sediment der Prims, des Kanals E 16 und im Filterschlamm zu urteilen, so groß, daß hiervon durchaus ein Fischsterben größeren Ausmaßes hätte ausgelöst werden können“. Noch zehn Tage nach dem Debakel, am 5.8.86, fand man im Schlamm des berühmt–berüchtigten Kanal E 16 rund 41,9 Gramm (!) Gesamtcyanid pro kg Schlamm. 0,7 mg/kg Körpergewicht können für den Menschen schon tödlich sein. Daß die Dillinger Hütte die Umwelt nachhaltig und illegal belastet, ist bei den zuständigen Behörden im Saarland ein offenes Geheimnis. In zwei Sitzungen des Umweltausschusses des saarländischen Landtages im März und April 1986 informierte das Umweltministerium nach wiederholtem Drängen einige Abgeordnete über die für die Umwelt katastrophalen Zustände im Bereich der Dillinger Hütte. Natürlich erfuhr die Öffentlichkeit nichts Konkretes aus den - wie sollte es auch anders sein - nicht–öffentlichen Sitzungen. Da hatte nämlich in der März–Sitzung der Bauoberrat Dahm aus dem Umweltministerium Jo Leinens berichtet, daß die Hütte an insgesamt 28 Stellen Abwasser in die Prims einleite und lediglich zwei Abwasserbescheide existieren. Wörtlich meinte der Beamte: „Alle anderen Einleitungen sind zur Zeit wasserrechtlich nicht legal bzw. noch nicht abschließend behandelt“. Das Unternehmen selbst verfüge, so Dahm, nur über ein Wasserrecht aus dem Jahre 1924. Niemand aus dem Umweltministerium und seinen nachgeordneten Behörden hielt es bislang für notwendig, das, was da an Quecksilber, Cadmium, Cyanid u.v.a. in riesigen Mengen in das Saar– Nebenflüßchen Prims eingeleitet wurde, zu begrenzen. Auch mit Jo Leinen änderte sich bis heute nichts, meint auch der Deutsche Vogelschutzbund. Leinen muß sich immer mehr den Vorwurf des „Öko–Alibiministers“ anhören. Daß es im Fall Dillinger Hütte rechtlich nicht einwandfrei zuging, war offensichtlich Grund genug, dieses Thema immer wieder hinter verschlossenen Türen zu behandeln. Wie unverantwortlich und fahrlässig durch Umweltbehörden und Industrie in diesem Fall mit der Umwelt umgegangen wurde, zeigt die Chronologie eines Genehmigungsverfahrens, die schon ihresgleichen sucht. 1966 stellt die Dillinger Hütte einen Antrag zur Genehmigung von Einleitungen ihrer Abwässer in die Prims. Sechs Jahre geschieht erst einmal nichts. Dann wird der Antrag öffentlich bekannt gemacht und der Angelsportverein legt Einspruch ein. Wieder verstreichen zwei Jahre. Da meldet sich wie aus heiterem Himmel das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Bauwesen beim Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten und erinnert an die vor Jahren bestellte Stellungnahme. Die nächsten zwei Jahre erinnert das Ministerium das Amt noch viermal in der gleichen Sache. Immerhin erst 10 Jahre sind seit Antragstellung vergangen. Und so fragt das Umweltministerium bei der Hütte nach möglichen Veränderungen im Abwasserbereich. Dann teilt das Hygiene–Institut plötzlich mit, man habe keine Einwände. Jetzt tritt das Landesamt für Umweltschutz (LfU) auf den Plan. Ohne intensive Gespräche sei von ihnen keinerlei detaillierte Beurteilung möglich. Es vergehen wieder zwei, drei Jahre. Im April 1979 teilt das LfU dann mit, „wegen momentaner und künftiger Personalengpässe“ sei keine Bearbeitung des Antrages bis Jahresende möglich. Knapp fünf Jahre später, am 20.3.1984, fordert das LfU die Hütte auf, neue Wasserrechtsanträge zu stellen. Die braucht dazu ein weiteres halbes Jahr. Wieder vergehen acht Monate für die Stellungnahme des LfU. Bis heute ist der ursprünglich vor 21 Jahren gestellte Antrag nicht beschieden. Die Folgen sind heutzutage gravierend. In dem vertraulichen Gutachten kommen die Wissenschaftler zu dem Fazit: „Da jedoch ein großer Teil des Untergrundes hochgradig mit Schadstoffen wie aromatischen Kohlenwasserstoffe, PAHs, Schwefelverbindungen, Cyaniden u.a. durchsetzt ist, kommt es durch Einsickern dieser Schadstoffe in das Primsbett bei jeder länger anhaltenden Niedrigwasserführung immer wieder zu Zuständen, wie wir sie bei unseren Untersuchungen vorgefunden haben. Eine Sanierung ist also nicht durch einfaches Baggern in der Prims zu erreichen, sondern müßte den gesamten Untergrund des Hüttengeländes einschließen“.