Indien: Rüstungsskandale ohne Grenzen

■ Nach dem Sturz von Verteidigungsminister V.P. Singh wird in Indien heftig spekuliert, wer von dem U–Boot–Geschäft mit der Bundesrepublik profitiert / HDW und indische Spitzenpolitiker im Zwielicht / Keine öffentliche Untersuchung / Wurden deutsche Konstruktionspläne an Südafrika weitergereicht?

Aus Madras Biggi Wolf

Tumultartige Szenen herrschten in der vergangenen Woche im indischen Parlament. Mehrfach mußten die Sitzungen unterbrochen werden, weil die Abgeordneten auf die Tische klopften, sich anschrien und einander nicht zu Wort kommen ließen. Rajiv Gandhi schickte in Schülermanier Zettel an seine Vertrauten durch die Bänke und am Donnerstag wurde von den Oppositionsparteien gar ein Mißtrauensvotum gegen den Parlamentsvorsitzenden Balram Jakhar eingebracht. (“Wegen fortgesetzter Versagung des Rechtes, entscheidende konstitutionelle Angelegenheiten und akute Probleme zu debattieren“). Als die 400 Congress–(I)–Abgeordneten das Ansinnen abschmetterten, flogen Kopfhörer und Papierknäuel in Richtung Podium; „als sicherer Verlierer“, kommentiert ein Beobachter im fernen Madras das Spektakel, „wird aus diesen Szenen die indische Demokratie hervorgehen. Vielleicht sollten die Parlamentssitzungen immer live im Fernsehen übertragen werden, damit jeder sehen kann, wie sich unsere Volksvertreter aufführen.“ Anlaß der für indische Verhältnisse ungewöhnlich rauhen Auseinandersetzung ist der von dem vor zehn Tagen zurückgetretenen Verteidigungsminister V.P. Singh aufgedeckte Skandal. In pe niblen Recherchen war dieser auf bislang unbekannte Korruptionsfälle auf höchster Ebene gestoßen. Die Vorgeschichte Wie erst im März bekannt wurde, hatte V.P. Singh 1986 als Finanzminister eine US–amerikanische Privatdetektei beauftragt, ausländische Bankkonten indischer Staatsbürger aufzuspüren, nachdem der internationale Währungsfonds schon 1985 auf 557 Mio. DM gestoßen war, die Inder im Ausland deponiert hatten. Der Minister, der sich zuvor bei Indiens Oberschicht durch seine radikalen Steuerrazzien unbeliebt gemacht hatte, informierte weder den Premierminister noch das Kabinett über die Einschaltung der Fairfax (Schnüffelhunde). Nicht ohne Grund, wie sich bald herausstellte: die Ermittlungen der Agentur rückten nämlich auch dem Premier nahestehende Parlamentsabgeordnete und deren Familienclans in den Kreis der verdächtigen Devisensünder. Daraufhin wurde Singh im Januar mit vorgeschobenen Begründungen ins Verteidigungsministerium abkommandiert. Von seinen Kritikern wird ihm vorgeworfen, er habe einem ausländischen Unternehmen (dem noch dazu Verbindungen zum CIA nachgesagt werden) Einblicke in sensible Angelegenheiten verschafft und damit die nationale Sicherheit gefährdet. Um sich zu profilieren und ein Super–Saubermann– Image (als Saubermann Nummer 1 gilt bis dato Rajiv Gandhi) aufzubauen, habe er leichtfertig Nachteile für das Land in Kauf genommen. Letzte Woche folgte dann die Gegenattacke Singhs, der von der britischen Zeitschrift The Economist als der „am wenigsten korrupte Minister Indiens“ und nach indischen Meinungsumfragen als der zweitbeliebteste Mann im Staat bezeichnet wird. Singh veröffentlichte Informationen über einen Rüstungsdeal mit den bundesdeutschen Howaldtswerken, denen zufolge ein indischer Agent für ein Geschäft über die Lieferung von zwei U–Booten im Gesamtwert von 600 Mio DM 70 Prozent Kommission kassiert haben soll. Da bei Geschäften dieser Größenordnung normalerweise nur eine Kommission von zwei Prozent gezahlt wird, wurden in der indischen Presse sofort Vermutungen über einen sogenannten „kick back deal“ laut. Es wird davon ausgegangen, daß der größte Teil der 42 Mio–DM–Kommission in politische Kanäle in Indien fließt. Dazu der Privatkommentar eines Journalisten in Madras: „Rückzahlungen aus Rüstungsgeschäften sind eine wesentliche Einkommensquelle der regierenden Congress–(I)–Partei. In Wirklichkeit finanziert aber das Volk diese Deals mit den Steuern“. Der Verteidigungsminister hatte bereits am 11. März von der Korruptionsaffäre erfahren. In einem Telex, das von der indischen Botschaft in Bonn weitergeleitet worden war, hatte die HDW einen zuvor zugesagten 20prozentigen Preisnachlaß wegen der vertraglichen Verpflichtung zur 70prozentigen Kommissionszahlung wieder rückgängig gemacht. Aus taktischen Erwägungen leitete Singh jedoch erst am 9. April eine Untersuchung ein, über die er zuerst die Presse und erst danach den Premierminister informierte. Die Frage, warum er Rajiv Gandhi, unter dessen Amtszeit als Verteidigungsminister die Verhandlungen mit HDW begonnen hatten, nicht ins Vertrauen zog, gibt jetzt natürlich reichlich Stoff für Spekulationen, hatte Gandhi doch bei Übernahme der Regierungsgeschäfte nach dem Tod seiner Mutter besonders nachdrücklich betont, daß bei Waffengeschäften keine Mittelsmänner eingeschaltet werden sollten. 42 Millionen Mark Schmiergeld Der Erklärung der HDW–Geschäftsleitung, daß man in Verbindung mit dem U–Boot Deal „keine Kommission an irgendeine Person oder Firma in Indien gezahlt habe“, wird von Teilen der indischen Presse wenig Glauben geschenkt. „Der Terminus, eine Person oder Firma in Indien läßt offen, ob Geld an eine Person oder Firma gezahlt wurde, die außer halb Indiens wohnt oder registriert ist“, schreibt z.B. der Indian–Express am 15.4. Rajiv Gandhi erklärte seinerseits, es gäbe zwar „Verhandlungen über den Ankauf von zwei U– Booten des Typs 209 mit der HDW, aber bisher keine Vereinbarungen“. Zwei Tage später ließ er dann durch den neuen Verteidigungsminister nachschieben, das Ministerium habe keinen Agenten engagiert. Damit bleibt allerdings offen, ob die HDW einen Agenten bezahlt hat. Eine öffentliche Untersuchung des U–Boot–Geschäfts wird es wegen angeblicher Sicherheitsrisiken nicht geben. Ausgerechnet der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, der von dem Deal gewußt haben muß, wurde von Gandhi mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Neue Skandale am Horizont Innerhalb der Congress–(I)– Partei wird dieses Vorgehen nicht kritisiert. Im Gegenteil gilt V.P. Singh bei vielen Abgeordneten der Regierungspartei als Ränkeschmied und „Chefprotagonist“ eines stillen Coups gegen die Regierung „Gandhi“. Die Opposition dagegen erklärte, Singh sei „zum Sündenbock gemacht worden, um eine höher gestellte Persönlichkeit im Land zu schützen“. Es werde deutlich, „daß Personen, die sich durch den Verkauf von Waffen im Wert von 20 Milliarden DM in den letzten sieben Jahren illegal bereichert haben, den Premierminister und seine Leute völlig im Griff haben, so der Janata–Vorsitzende Fernandes. Pikiert mußte die indische Öffentlichkeit ferner zur Kenntnis nehmen, daß Pläne von schon früher gelieferten und noch im Bau befindlichen U–Booten von der HDW an die Regierung Südafrikas weitergeleitet worden sein sollen. Hatte sich doch die Regierung in der Vergangenheit immer als entschiedene Kritikerin des Apartheidregimes hervorgetan. Auf die Frage, ob die staatliche HDW tatsächlich Dokumente weitergereicht habe, sei bis heute keine befriedigende Antwort von der Bundesregierung gekommen, heißt es im Hindu vom 14.4. Am 17.4. zeichnete sich schon der nächste Rüstungsskandal ab: der staatliche schwedische Rundfunk berichtet, daß die Rüstungsfirma Bofors Schwedens größten Exportauftrag an Land ziehen konnte, indem sie indischen Congress–(I)–Politikern - „Schlüsselfiguren im Verteidigungsbereich“ - Schmiergelder auf Schweizer Bankkonten überwiesen habe. V.P. Singh gibt sich indes nach getaner Arbeit vorerst schweigend. „Ich habe dem Premierminister mein Wort gegeben, daß ich nicht reden werde. Deshalb bleiben meine Lippen versiegelt“, ließ er Journalisten kurz nach seinem Rücktritt wissen.