Plädoyer für politische Militanz

■ Im Diskussionspapier für die Libertären Tage kritisieren Autonome aktionistische Ansätze und plädieren für eine militante Perspektive im Alltag / Fehlen einer sozialen Verwurzelung konstatiert

Aus Frankfurt Oliver Tolmein

„Unsere politische Militanz hinkt der praktischen hinterher, anstatt ihr vorauszugehen“, und: „Unsere soziale Verwurzelung entspricht dem Wurzelbett eines Plastikbaumes.“ In acht Thesen haben Frankfurter Autonome als Diskussionsgrundlage für den Libertären Kongreß den „Stand autonomer Bewegung“ kritisiert und damit den von ihnen vor einiger Zeit erarbeiteten „Versuch, eine autonome, antiimperialistische Perspektive neu zu bestimmen“ (siehe taz vom 16.4.87), fortgeführt. In den Auseinandersetzungen während der Libertären Tage wurde das 20seitige Papier, das als Ziel hat, „weniger auf den Feind (zu blicken), als um uns herum“, und das die Notwendigkeit radikaler Politik gegen reformistische Ansätze unterstreicht, überwiegend positiv aufgenommen. Es soll als Grundlage für weitere Diskussionen in regionalen Zusammenhängen dienen. Ausgangspunkt für die Selbstkritik der Autoren, die sich selbst als „Alte der militanten Bewegung“ bezeichnen, ist die Feststellung, daß die Jungen die Fehler der Alten wiederholen, während sich diese allmählich aus der Bewegung zurückziehen. „Eine Bewegung jedoch, die nicht alt wird, die nur aus Jugendsünden besteht.., die aus gemachten Fehlern nicht lernt, sondern diese geradezu ritualisiert, kann nicht wachsen, sondern stirbt von innen.“ Eine wichtige Rolle spielt der Versuch, den Begriff der „politischen Militanz“ zu entwickeln. Als positives Beispiel wird die Hanau–Demonstration gegen NUKEM/ALKEM aufgeführt, „eine Demo, die in ihren militanten und offensiven Inhalten eine Stärke zum Ausdruck brachte, die wir bei vielen Putzdemos vermißten“. Derzeit sei die Hanau–Demo aber die Ausnahme, die Regel sei, daß es den Grünen gelingt, „sich als einzige politische Opposition darzustellen.., während unser praktisches Vorgehen ... sich auf ein militärisches Schauspiel (reduziert)“. Den Grünen sei gelungen, was die Autonomen gar nicht engagiert versucht hätten: die „Unentschlossenen und Aufgeschreckten“, die sich „um so banales“ und „privates wie gesundes Leben sorgten“, in den Widerstand miteinzubeziehen. „Es hätte an uns gelegen, in der offensiven Auseinandersetzung um Alternativen in diesem System gerade auch die Grenzen eines grünen reformistischen Reparaturbetriebs aufzuzeigen“. Der reformistischen Strategie politisch nichts entgegengesetzt, die Notwendigkeit politischer Militanz und Radikalität nicht vermittelt zu haben, sei ein entscheidendes Versäumnis der auf Sabotage und Bauzäune orientierten autonomen Politik der letzten Jahre. Es komme weniger darauf an, „wieviele Strommasten fallen“, als darauf, „in wievielen Köpfen diese Masten fallen“. Hier können nach Auffassung der Autor/innen des Papiers nur Erfolge erzielt werden, wenn Autonome sich in den „Kampf um Alternativen innerhalb des Systems einmischen“, ohne allerdings aus dem Auge zu verlieren, daß „für weitergehende Ziele Bedingungen (geschaffen werden) müssen, die das System auf jeden Fall zu verhindern sucht“. Um auf diesem Weg weiterzukommen, sei es erforderlich, daß „das praktische Vorgehen auf der Straße Ausdruck und nicht Ersatz alltäglicher Kämpfe in Schule, Fabrik und Wohnvierteln (bleibt)“. Denn gegen die „soziale Ausdehnung von Konflikten“ blieben die „Waffen staatlicher Gewalt stumpf“. Gerade die soziale Verwurzelung der Autonomen entspreche aber heute „dem Wurzelbett eines Plastikbaumes“, der darüberhinaus auch noch alle paar Jahre ausgewechselt werde. An dem Ort, an dem sich „die Gewalt/Herrschaft dieses Systems ganz zentral ausdrückt: im Produktionsektor“ existiere überhaupt keine militante, autonome Perspektive mehr. Eine militante Perspektive für den Alltag zu entwickeln sehen die Autor/innen des Papiers deshalb als entscheidende Voraussetzung, um „den Kreislauf sich wiederholender Bewegungsrythmen zu durchbrechen“. Denn: „Je weniger militante Kämpfe in unserem Alltag ... Fuß fassen, desto mehr romantisieren wir gerade jene Ereignisse, die aus unserem ätzenden Alltag herausstechen. Diese Mystifizierung des Feuerscheins ist im großen und ganzen ein Ausdruck fehlender Strukturen und Perspektiven innerhalb unseres Alltags.“