Autonomes Klassentreffen?!

■ Gestern gingen die Libertären Tage anarchistischer und autonomer Gruppen zu Ende / 1.500 beteiligten sich / Widerstand soll raus aus dem Ghetto, rein in den Alltag

Aus Frankfurt Oliver Tolmein

Aus den Fenstern des trist–grauen Fachhochschulgebäudes an der Nibelungenallee hängen schwarz– rote Transparente. Vom Vorbau flattert, von keinem der über diese Einfallstraße nach Frankfurt kommenden Autofahrer zu übersehen, die riesige Fahne mit dem Wappen der Libertären Tage: eine schwarze Katze, die Nackenhaare gesträubt, in Warteposition, jeden Moment bereit zuzuschlagen. Die schwarze Katze als Symbol des Widerstands hat Tradition: wild streikende Arbeiter trugen sie auf ihren Fahnen; zu Gründungszeiten wählten linksradikale Zeitungen wenigstens noch einen Teil von ihr - die Tatze - als Signet. Die Libertären von heute trauen ihrem Wappentier aber noch ganz andere Taten zu: Auf dem Titelblatt der zu den Libertären Tagen erschienenen 26. Ausgabe des anarchistischen Magazins „Aktion“ steht es inmitten des Bankenviertels der Mainmetropole und läßt, überdimensional groß, keinen Zweifel: ein weiteres ausbeuterisches Geldgeschäft und ein Schlag mit der Tatze macht dem kapitalistischen Rattentanz den Garaus. Die real existierenden schwarzen Katzen allerdings sind gerade mal auf dem Balkon oder im Garten autonom - ansonsten sind sie, um aus der Hand ihrer Herrn das nötige Kitekat zu ergattern, zu etlichen Zugeständnissen bereit. „Kohle muß her“. Ob sich der Zwang, Geld zu verdienen, auch mit der Möglichkeit verbinden kann, das System an dem Punkt anzugreifen, wo es „sich ganz zentral ausdrückt: im Produktionssektor“, bleibt auf den Libertären Tagen ungeklärt, wird aber heftig und in immer neuen Konstellationen diskutiert. Überraschungseffekte sind dabei, wie bei den meisten Diskussionen an diesen Tagen, eher die Regel als die Ausnahme. „Von Betriebssabotage halte ich nichts. Die Kuh, die ich melke, kann ich doch nicht schlachten“, stellt ein in zahllosen Auseinandersetzungen an der Startbahn nicht gerade als Gewaltfreier hervorgetretener Autonomer nüchtern fest. Der schräge Blick auf die kapitalistischen Verhältnisse bringt Unruhe in den überfüllten, stickigen Raum: „Wer ist denn die Kuh? Gemolken werden doch die Arbeiter!“ - „Sabotage heißt doch nicht, die Kuh zu schlachten, sondern die Melkmaschine kaputt zu machen“, beendet einer aus dem Hintergrund die aufgeflackerte Debatte, um aber viele der Lacher, die sich auf seine Seite schlagen, sofort wieder zu verprellen: „Mir fehlt bei der Jobberei, wie sie hier propagiert wird, die Identifikation mit meiner Ar beit. Ich will nicht nur malochen, um Geld zu verdienen“. „Lohnarbeit im Kapitalismus“ sei Ausbeutung, sonst gar nichts, wird ihm entgegengehalten, darin Identifikation zu suchen, sei der völlig falsche Ansatz. In erster Linie gehe es darum, den Zwangscharakter jeglicher Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen aufzudecken und sich dem zu widersetzen. Dafür sei Jobben die geeignetere Möglichkeit. Die Kontroverse zwischen den Leuten, die in Betrieben die soziale Verwurzelung suchen und denen, die Jobben für perspektivreicher halten, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis, aber auch nicht zu Spannungen: „Hier reden Leute miteinander, die sich sonst kaum gemeinsam auf einer Veranstaltung aufhalten können“, resümiert eine Frau. Schon der Jobberansatz zeigt viele Facetten: Manche wollen möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen, um Muße für ihr politisches Engagement in den Bewegungen zu haben, andere sehen das Jobben an sich als politisch an - in den automomen Jobber–Inis werde auch der Kampf gegen Sozialamt und für Nulltarif geführt, das schließe das Engagement für Erwerbslose mit ein. Einem älteren Autonomen aus Moers bleibt die Debatte suspekt: „Hier wird so getan, als hätten wir die freie Wahl, ob wir jobben oder eine feste Stelle suchen. Im Ruhrgebiet würden wir, selbst wenn wir wollten, keine Jobs mehr finden.“ Außerdem, ergänzt eine andere, müsse auch gesehen werden, daß die Jobberei, die in den Siebzigern als fortschrittlicher Ansatz konzipiert worden sei, heute dem Kapital mit seinen Flexibilisierungsstrategien in die Hände arbeite. Die Unsicherheit über die politische Perspektive ist allgemein: „Wer sind wir denn: die Autonomen–Klasse?“ fragt am Ende der zweiten Diskussionsrunde einer selbstironisch–ratlos. Antworten werden auf den Libertären Tagen in den zahllosen, meist mit ausführlichen Papieren vorbereiteten Arbeitsgruppen (von Anarchosynikalismus über Internationalismus, Homosexualität bis zu dem Versuch einer Kritik an den sozialen Bewegungen der vergangenen Jahre) kaum gegeben. Aber darauf kommt es den etwa 1.500, die aus Waiblingen, Hamburg, Flensburg, Westberlin, dem Ruhrgebiet, aus München, Wien oder Zürich nach Frankfurt gefahren sind, auch nicht in erster Linie an. Wichtiger ist den meisten, daß hier lange aufgeschobene Fragen gestellt und neue Kontakte geknüpft werden können, daß die Praxis der Militanz Thema ist, ohne daß der Zwang besteht, sich in wenigen Stunden auf ein gemeinsames Aktionskonzept zu einigen, und ohne daß draußen vor der Tür die Polizei mit Wasserwerfern und einer Auflösungsverfügung wartet. Es herrscht ein bißchen Woodstockstimmmung an einer der größten und häßlichsten Kreuzungen Frankfurts. Bunte T–Shirts, karierte Hosen und farbenprächtige Frisuren dominieren. Auf den Klos werden Hunde getränkt, an der Kreidetafel vor dem Kaffeestand, an dem die Massen diszipliniert warten, bis sie ihren Eine– Mark–Bon abgeben dürfen, mehren sich von Stunde zu Stunde die Graffiti: „Ich sage nie mehr Counter zu Arno“, während sich auf den Böden, sehr zum Ärger der Vorbereitungsgruppe, die Kippen häufen. Erst Sonntagnachmittag - der Spaziergang an der Startbahn 18 West steht an - stimmt das Bild, das der Öffentlichkeit gemeinhin präsentiert wird, wieder halbwegs: die T–Shirts verschwinden unter der Lederjacke, die Frisuren unter den Sturmhauben. Den Tränengaseinsätzen der Grünuniformierten an der stark bewachten Startbahnmauer setzt man sich, bei aller an diesen Tagen geäußerten Kritik an den eigenen Fighter– Ritualen, mit gutem Grund nicht ungeschützt aus.