Eine einzige Schwachstelle

■ Das AKW Mülheim–Kärlich steht auf Erdbeben gefährdetem Gebiet, in extrem dicht besiedelter Gegend / Gefährliche Klimabedingungen / Eine Analyse des Öko–Instituts Darmstadt / Grüne: Nicht mehr anschalten

Aus Mainz Rolf Gramm

Das Atomkraftwerk Mülheim– Kärlich ist an einem der ungünstigsten AKW–Standorte der ganzen Welt errichtet worden. Die dem Konzept des Harrisburg–Reaktors ähnliche Konstruktion weist eine Reihe sicherheitsrelevanter Schwachstellen auf, die die Anlage zu einem besonderen Risiko werden lassen. Das geht aus einer gestern veröffentlichten Studie des Darmstädter Öko–Instituts hervor, die der Diplom– Physiker Lothar Hahn im Auftrag der rheinland–pfälzischen Grünen erstellt hat. Der Standort Mülheim–Kärlich, so wird in der Studie ausgeführt, weise „gleich mehrere extrem risikorelevante Begebenheiten negativer Art auf“. Die Anlage befinde sich genau oberhalb einer tektonischen Störung, einer Verwerfung, und sei extrem erdbebengefährdet. Bei den Berechnungen zur Auslegung des AKW gegen Erdbeben habe man dabei zu niedrige Werte bemessen. Belastungen aufgrund eines „sehr wohl möglichen stärkeren Bebens“ sei die Anlage nicht gewachsen. Dazu komme, daß im Umkreis von 10 km um das Atomkraftwerk mehrere Hunderttausend Menschen leben. Weltweit gehöre Mülheim–Kärlich damit zu den dichtbesiedeltsten AKW– Standorten. Allein wegen dieser Besiedlungsdichte, so Hahn, wäre das AKW in den USA nach den dort geltenden Standortkriterien nicht genehmigungsfähig. An dem Standort in einem ringsum von Höhenzügen begrenzten Talkessel herrsche zudem eine besonders ungünstige Klimasituation. Es handle sich um den Standort mit den meisten Schwachwindlagen in der gesamten BRD. Im Falle einer Freisetzung von Radioaktivität würde das bedeuten, daß sich eine radioaktive Wolke bilden würde, die das Neuwieder Becken erst einmal nicht verläßt und hochkonzentriert bleibt. Sehr hohe Strahlendosen für die Bevölkerung wären die Folge. All diese standortspezifischen Nachteile würden jedoch keineswegs durch besondere Anforderungen an das Sicherheitssystem kompensiert. Die Anlage in Mülheim–Kärlich ist vom Konzept her den Reaktoren der Firma Babcock&Wilcox (B&W) sehr ähnlich. Nach dem Unfall in dem B&W–Reaktor in Harrisburg sei die amerikanische Nuclear Regulatory Commission zu der Auffassung gelangt, daß die Frage neu untersucht werden müsse, ob bei diesem Anlagentyp die Sicherheit noch gewährleistet sei. Als besonders unzureichend bezeichnete Lothar Hahn das Primärkreislaufkonzept des AKW Mülheim–Kärlich. Da im Gegensatz zu anderen Reaktoren hier „auf die 4–Strängigkeit der Sicherheitssysteme verzichtet worden“ sei, könnten nicht alle Teile des Notkühlsystems alle Stränge des Primärkreislaufs erreichen. Das Containment der Anlage würde den Belastungen eines Kernschmelzunfalls nicht standhalten. Da Warbe und Notwarbe unzureichend gegen Strahlenbelastungen ausgelegt seien, könne sich das Personal nach einem Unfall wegen der Strahlung dort nicht mehr aufhalten und Gegenmaßnahmen ergreifen. Lothar Hahn und die rheinland– pfälzischen Grünen forderten die Landesregierung auf, das derzeit abgeschaltete AKW endgültig stillzulegen.