Drei Jahre Ruhe

Berlin (taz) - Das Kompromißpaket von Bad Homburg wird innerhalb der Industriegewerkschaft Metall heftige Diskussionen auslösen. Denn auch in der diesjährigen Arbeitszeitrunde konnte die Gewerkschaft nicht durchsetzen, was sie schon 1984 zumindest als Endstufe einer mehrjährigen Entwicklung im Tarifvertrag hatte festschreiben wollen: die 35–Stunden–Woche. Die IG Metall wird also ihre Plakate mit der leuchtenden Sonne 1990 ein weiteres Mal aus der Asservatenkammer holen müssen. Und es ist durchaus nicht ausgemacht, daß sie dann den letzten Sprung von zwei Stunden Arbeitszeitverkürzung schaffen wird. Der diesjährige Abschluß ist dem Volumen nach identisch mit dem Kompromiß von 1984, als unter Vermittlung des SPD–Politikers Georg Leber eineinhalb Stunden Arbeitszeitverkürzung vereinbart wurden. Damals allerdings war ein siebenwöchiger Arbeitskampf nötig, um das Arbeitgeber–Tabu 40–Stunden–Woche zu durchbrechen. Diesmal hat die Gewerkschaft nicht kämpfen müssen, vielleicht auch - angesichts des inzwischen wirksamen Streikparagraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz - nicht kämpfen wollen. Sie mußte dafür ein paar bittere Pillen schlucken. Die Arbeitszeitverkürzung hat zwar denselben Umfang wie 1984, nämlich insgesamt einein halb Stunden bezogen auf einen Zeitraum von drei Jahren. Aber sie wird nicht in einem Schritt eingeführt, sondern in zwei Stufen. Es gilt unter Betriebspraktikern als ausgemacht, daß die arbeitsplatzschaffende Wirkung von Arbeitszeitverkürzungen umso größer ist, je deutlicher die Zäsur ausfällt. Trippelschritte schmälern das Ausmaß an Arbeitsumverteilung, selbst wenn sie letztlich denselben Umfang haben wie ein größerer Schritt. Diesem Zugeständnis steht gegenüber, daß die IG Metall ein für sie wichtiges Ziel erreicht hat: Es wird in irgendeiner Form für alle Beschäftigten der Metallindustrie Arbeitszeitverkürzung geben, auch für die Auszubildenden und für die höher qualifizierten Angestellten. Die Auszubildenden, die bei der Einführung der 38,5–Stunden–Woche 1985 leer ausgegangen waren, werden ab 1. April 1988 eineinhalb Stunden weniger arbeiten, also das nachvollziehen, was für alle übrigen Beschäftigten schon seit zwei Jahren praktiziert wird. Bei der 1990 anstehenden neuerlichen Arbeitszeitrunde sollen die Lehrlinge dann gleichgestellt werden. Aber auch für jene, die nach dem Leber–Kompromiß nach wie vor 40 Stunden arbeiten mußten, wird es ab 1.4.88 zunächst eine halbe, ab 1.4.89 noch eine halbe Stunde Arbeitszeitverkürzung geben. Damit ist ab April 88 im Metallbereich die 40–Stunden–Woche endgültig erledigt. Am Ende des Stufenplans wird die Höchstarbeitszeit auch für die höher qualifizierten Fachkräfte, welche die Arbeitgeber immer aus der Arbeitszeitverkürzung ausnehmen wollten, 39 Stunden betragen. Dies hängt mit der Neufestsetzung der Eckdaten für unterschiedliche Arbeitszeiten bei den verschiedenen Beschäftigtengruppen zusammen. Während die Spanne bisher 37 bis 40 Wochenstunden betrug, wird sie nun um eine halbe Stunde verringert: zunächst auf 37 bis 39,5 Stunden, später auf 36,5 bis 39 Stunden. Die Gefahr, daß wichtige Zielgruppen wie die Lehrlinge und die qualifizierten Fachkräfte von der gewerkschaftlichen Tarifpolitik abgekoppelt werden, ist damit vorerst, wenn auch nicht endgültig, gebannt. Problematisch an dem Homburger Kompromiß ist die Ausdehnung des sog. „Ausgleichszeitraums“ bei schwankender Arbeitszeit von zwei auf sechs Monate. Dies bedeutet, daß die künftige Normalarbeitszeit von 37 bzw. 37,5 Stunden nicht wöchentlich erreicht werden muß, sondern lediglich im Durchschnitt von sechs Monaten (bisher zwei Monate). Entsprechend soll die neugewonnene Freizeit auch nicht zu einzelnen freien Tagen, sondern zu Freizeitblöcken von fünf Tagen gebündelt werden können. Die Einzelheiten sollen auf betrieblicher Ebene geregelt werden. Ursprünglich hatten die Arbeitgeber einen Ausgleichszeitraum von einem Jahr gefordert. Die Gewerkschaft hatte lautstark dagegen protestiert: „Freibrief für Saisonarbeit“. Es ist schon jetzt abzusehen, daß diese Arbeitgeberforderung bei der nächsten Arbeitszeitrunde im Austausch gegen weitere Arbeitszeitverkürzung realisiert werden wird. Während die dreijährige Laufzeit des Tarifpakets in bezug auf die Arbeitszeit von der Basis wohl akzeptiert werden wird, ist bei dem Stufenplan für die Löhne Kritik zu erwarten. Denn beides zusammen bedeutet, daß die IG Metall sich für die kommenden drei Jahre aus der Tarifpolitik verabschiedet. Und Tarifpolitik ist die wichtigste Möglichkeit für Gewerkschaften, unmittelbar in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einzugreifen. Martin Kempe