Eine Türkin zieht in das Berliner Parlament ein

■ Erstmals in der Geschichte der BRD wird in Berlin eine ehemalige „Gastarbeiterin“ Parlamentsabgeordnete / Sevim Celebi–Gottschlich will als Mitglied der AL–Fraktion vor allem Ausländerinteressen wahrnehmen / Türkische Zeitungen feiern „unsere Parlamentarierin“

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Mit einer Protestaktion und einem Forderungskatalog an die Adresse der etablierten Parteien werden heute im Berliner Abgeordnetenhaus verschiedene Ausländergruppen ein für sie historisches Datum begleiten: Zum ersten Mal wird mit der 36jährigen Sevim Celebi– Gottschlich eine Ausländerin der sogenannten „Gastarbeiter“–Generation in ein bundesdeutsches Parlament einziehen. Seit gut einer Woche geben sich die Reporter an der Kreuzberger Wohnungstür mit dem Namensschild „Celebi–Gottschlich“ die Klinke in die Hand. Die türkischen Zeitungen, das türkische Kabelfernsehen, die „Gastarbeiterprogramme“ der Rundfunkanstalten - sie alle wollen „unsere Parlamentarierin“ - wie die Zeitung Hüriyet sie nennt - interviewen. Selbst für die Springer–Zeitungen ist zu einem Medienereignis geworden, daß mit der 36jährigen Türkin erstmals eine Ausländerin in ein bundesdeutsches Parlament kommt, die mit ihrer Präsenz, ihrer Biographie und ihren politischen Forderungen für die steht, vor denen man sonst die Parlamentstüren fest verschlossen hält: die Arbeitsimmigranten in der Bundesrepublik, die hier zwar arbeiten und Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen. Auch Sevim Celebi–Gottschlich bekam diesen Zugang in die Parlamentshallen nicht als eine von Ausländern gewählte Politikerin, sondern als Nachrückerin in der neuen Abgeordnetenhausfraktion der Alternativen Liste, die heute ihr Amt antritt. Und als Eintrittskarte in das „Hohe Haus“ brauchte die inzwischen mit einem Deutschen verheiratete Türkin die deutsche Staatsangehörigkeit und einen deutschen Paß. Vor 17 Jahren kam die damals 20jährige Sevim als „Gastarbeiterin“ aus Ankara nach Berlin, arbeitete zunächst bei Siemens, dann als Verkäuferin, Kassiererin und Taxifahrerin. Nebenbei machte sie die mittlere Reife und das Abitur und studierte schließlich Sozialarbeit. Nach der Arbeit im Berliner Ausländerkomitee und in Stadtteilgruppen wurde sie vom Ausländerbereich der AL und der Mitgliederversammlung als Nachrückerin für das Abgeordnetenhaus nominiert. Was jetzt für türkische Zeitungen Anlaß für Titelseitenberichte ist und bei einigen Landsleuten Stolz und auch Hoffnungen weckt, ist in der AL nicht unumstritten. Kurz bevor Sevim Celebi– Gottschlich ins Abgeordnetenhaus rotieren sollte, löste ihre Nominierung eine heftige innerparteiliche Grundsatzdebatte um Rotation, Personen und Schwerpunkte der Ausländerpolitik aus. Kurz vor Toresschluß wollten Teile der Partei die vor allem in der Asylpolitik sehr engagierte und erfolgreiche ALerin Heidi Bischoff–Pflanz nicht wegrotieren lassen. Eine schwer zu definierende Mischung aus Angst vor der eigenen Courage, Sorge um die bisherige Arbeitseffizienz und die Furcht vor einer Schwerpunktverschiebung von der Asyl– zur Immigrantenpolitik brachte das Nachrücker–Karussell noch ein mal ins Trudeln . Schließlich besiegelte die AL–Delegiertenversammlung die Rotation jedoch erneut. Daß sie in der AL nicht unumstritten ist und es als Frau und Ausländerin in dem Parlamentsbetrieb dreifach schwer haben wird, ist Sevim Celebi–Gottschlich klar, aber „mich durchzukämpfen habe ich früh gelernt“, meint sie. Was ihr und den Ausländergruppen, mit denen sie zusammenarbeitet, das zweijährige Parlaments–Experiment wichtig macht, ist die Möglichkeit, hier erstmals keine „Stellvertreterpolitik“ zu machen. „Sichtbare Veränderungen wird es in den zwei Jahren, in denen ich im Abgeordnetenhaus bin, kaum geben. Aber wir“, und damit meint Sevim Celebi „wir Ausländer“, „können zur Sprache bringen, was wir wollen. Durch meine Präsenz müssen sich die anderen Parteien ernsthaft mit uns auseinandersetzen. Ich zeige: wir sind da! Und auch die linke Öffentlichkeit muß lernen, Ausländer nicht zu bevormunden. Daß Ausländer ihre Probleme selbstbewußt in die Hand nehmen, wird nicht gerade gern gesehen.“ Eine stärkere Politisierung erhofft sich Sevim Celebi aber auch bei den Ausländer–Gruppen, die bisher von den Parlamentsbänken ferngehalten wurden und die die Basis für ihre Parlamentsarbeit sein sollen. Erste Ansätze gibt es dazu in einem von ihr initiierten Ausländerforum, in dem sich Gruppen verschiedener Nationalitäten regelmäßig treffen. Nach anfänglicher Skepsis treffen dort politisch so unterschiedliche Strömungen zusammen wie griechische Linke und Vertreter der konservativ–religiös ausgerichteten islamischen Föderation. Als Minimalkonsens haben die Gruppen einen Forderungskatalog erarbeitet, der Grundlage für die Arbeit der neuen Abgeordneten Celebi– Gottschlich sein wird. Wichtigste Forderungen dieses gemeinsamen Programms sind die unbeschränkte Familienzusammenführung für Ausländer, ohne die bisher staatlich verordnete Trennungsphase für Ehepartner, und die Aufhebung des § 19 des Arbeitsförderungsgesetzes, wonach freiwerdende Stellen vorrangig an Deutsche oder an Ausländer aus EG–Staaten zu vermitteln sind. Neben der Forderung nach einem Wahlrecht für Ausländer will Celebi–Gottschlich die Aufmerksamkeit besonders auf die Situation der ausländischen Mädchen und Frauen lenken, für die sie u.a. ein eigenständiges Aufenthaltsrecht fordert, um sie im Fall einer Ehescheidung vor der Ausweisung zu schützen. Daß jetzt, wie die türkischen Zeitungen schreiben, „eine von uns“ ins Abgeordnetenhaus zieht, haben ihre Landsleute zunächst mit einem eher ungläubigen „Ja, ja, Allah sei mit ihr!“ kaum zur Kenntnis genommen. Nachdem an der Tatsache jedoch nichts mehr zu rütteln ist, gibt es inzwischen fast überschwengliche Begeisterung. Dabei schwingen Stolz, gestärktes Selbstbewußtsein und jede Menge Hoffnungen mit. Diese häufig viel zu hoch gesteckten Erwartungen machen Celebi–Gottschlich neben der schwierigen deutschen Behördensprache am meisten Angst: „Ich fürchte, die Ausländer werden mir die Bude einrennen mit all ihren Problemen.“ Eine Gruppe von ausländischen Jugendlichen in der U–Bahn weiß jedenfalls schon genau, was „ihre“ Abgeordnete als erstes machen muß: „Das Disco–Verbot für Ausländer aufheben, natürlich!“, und das - als wär sie der Regierende Bürgermeister persönlich - bitteschön sofort!