Ausländerdiskriminierung per Steuerkarte

■ Das bundesdeutsche Steuerrecht schmälert die Nettoeinkommen ausländischer Arbeitnehmer empfindlich / Der Klageweg durch die Instanzen dauert Jahre

Von Michaele Schreyer

Zunächst glaubte Kemal Yesil an einen Irrtum vom Amt: auf seiner Steuerkarte war er als kinderlos und alleinstehend eingeordnet. Dabei ist er seit sechs Jahren verheiratet und Vater zweier Mädchen, Ayten und Fatma. Doch dann mußte Kemal erfahren, daß mit der Steuerkarte alles rechtmäßig ist. Weil seine Familie nicht wie er in Bayern, sondern in Ürgup in Kappadokien lebt, wird sie steuerlich nicht berücksichtigt. Das macht sich auf seinem Konto beträchtlich bemerkbar. Von seinem Bruttoeinkommen von 2.900 DM zahlt er 530,20 DM ans Finanzamt, das sind 278,90 DM mehr als sein deutscher Kollege mit gleich großer Familie. Diese höhere Besteuerung hat Kemal Yesil ausgerechnet dem „Gesetz zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie“ - kurz: Steuersenkungsgesetz - zu verdanken. Nach diesem Gesetz werden nämlich seit dem 1.1.1986 Kinderfreibeträge nur noch für Kinder gewährt, die in der BRD ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt haben, nicht mehr aber für sogeannte Auslandskinder. Daß der Vater oder die Mutter arbeiten und ihr Einkommen hier voll versteuern, spielt dabei keine Rolle. Freibeträge verringern das zu versteuernde Einkommen und damit die zu zahlende Lohnsteuer. Und weil weitere Freibeträge - so der Ausbildungs– und der Haushaltsfreibetrag - an die Gewährung des Kinderfreibetrags gekoppelt wurden, sind seit dem 1.1.86 ausländische Arbeitnehmer, deren Fami lien im Ausland leben, von den „familienfördernden“ Regelungen des Steuerrechts gänzlich ausgeschlossen. Das Ehegattensplitting konnten sie ohnedies auch bisher nicht in Anspruch nehmen. Da nützt es den Betroffenen nur wenig, daß sie die Unterhaltsleistungen für ihre Kinder künftig als „außergewöhnliche Belastungen“ steuerlich geltend machen können. Erstens sind die dafür angesetzten Höchstbeträge (2.484 DM für Kinder bis 18 Jahre, 4.500 DM für ältere Kinder) geringer als die Summe der gestrichenen Freibeträge (2.484 DM Kinderfreibetrag, 4.536 DM Haushaltsfreibetrag, 1.200 bis 3.000 DM Aus bildungsfreibetrag je nach Alter und auswärtiger oder nicht auswärtiger Unterbringung des Kindes). Zweitens werden diese Höchstbeträge je nach Wohnland auch noch gekürzt, für die Türkei z.B. um ein Drittel. Drittens können die „außergewöhnlichen Belastungen“ erst im Lohnsteuerjahresausgleich auf Nachweis geltend gemacht werden, womit gerade für Ausländer schwierig gestaltete bürokratische Hürden überwunden werden müssen. Die im Steuerrecht verankerte Diskriminierung hat weitere Folgen: weil durch den Wegfall der Kinderfreibeträge das Nettoeinkommen geringer ausfällt, werden die Betroffenen auch im Fall der Arbeitslosigkeit ein geringeres Arbeitslosengeld erhalten als ihre deutschen Kollegen. Für jemanden mit durchschnittlichem Arbeitnehmereinkommen macht der Unterschied immerhin fast 60 DM im Monat aus. Die Schlechterstellung trifft ebenfalls zu für die Arbeitslosenhilfe, das Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld, eben für alle Lohnersatzleistungen, die vom Nettoeinkommen berechnet werden. Die Gruppe der Betroffenen ist groß: Für 375.000 Auslandskinder wurden die Kinderfreibeträge, für 150.000 ausländische Arbeitnehmer der Haushaltsfrei betrag gestrichen. Groß war auch der Protest von Einzelgewerkschaften, besonders der IG Metall, vom DGB, von den Kirchen, von Ausländerbeiräten und Initiativen und zahlreich die Beschwerden, die der bisherige Ausländerreferent der grünen Bundestagsfraktion Muzaffer Tolali zum Teil als Petitionen an die entsprechenden Ausschüsse des Bundestages und des Europaparlaments weitergeleitet hat. Die Bundesregierung scherte dies alles wenig. Ein Antrag der Grünen auf „Rücknahme der steuerlichen Benachteiligung ausländischer Arbeitnehmer“ fand im Bundestag keine Unterstützung. Die „undifferenzierte Gleichstellung aller Auslandskinder mit Inlandskindern“ - so die vielsagende Begründung der Ablehnung des Antrag - ist nicht gewollt, auch nicht von der SPD. Ob aber die jetzt auch im Steuerrecht verankerte Ungleichstellung von Auslands– und Inlandskindern vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird, ist zumindest fraglich. Deshalb hatte sich auf Initiative von Rüsselsheimer Organisationen das bundesweite „Komitee zur Unterstützung der Verfassungsbeschwerde gegen das Steuersenkungsgesetz“ gebildet. Allerdings ist die Initiative im ersten Anlauf gescheitert: das Verfassungsgericht hat die Beschwerde mit der Begründung nicht angenommen, daß der Rechtsweg nicht ausgeschöpft worden sei. So muß jetzt zunächst der Weg durch die Finanzgerichte gegangen werden. Es gibt allerdings eine zweite Interventionsmöglichkeit: Da auch EG–Bürger/ innen von der Diskriminierung betroffen sind, verstößt das Steuersenkungsgesetz gegen die Europäische Konvention über die Rechtstellung von Wanderarbeitnehmern und gegen die Verordnung des Rats der Europäischen Gemeinschaft vom Oktober 1986, nach der einem Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates ist, die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen zu gewähren sind wie inländischen Arbeitnehmern. Dabei hebt das EG–Recht nicht nur auf den Gesetzestext, sondern auf die faktische Wirkung ab, verbietet somit auch die verschleierte Diskriminierung. Aber auch der Weg über den Europäischen Gerichtshof ist langwierig. Umso wichtiger ist es, daß die Proteste nicht verstummen. Michaele Schreyer ist Mitarbeiterin der Grünen Bundestagsfraktion.