K O M M E N T A R Historische Schranken

■ Alfonsin will die Militärs aus der Politik verbannen

Die Dramaturgie, mit der Argentiniens Präsident Raul Alfonsin am Ostersonntag die akute Krise meisterte, war perfekt, doch kann sie nicht über die chronischen Leiden der argentinischen Gesellschaft hinwegtäuschen. Vier Jahre Demokratie haben nicht ausgereicht, aus Soldaten, aus braven Gehilfen einer der grausamsten Diktaturen in Lateinamerikas jüngster Geschichte „Bürger in Uniform“ zu machen. Auch wenn ihnen heute sicher nicht der Sinn nach Putsch steht, haben sie doch deutlich gemacht, daß sie weiterhin ihr Wörtchen in der Politik mitreden wollen, vor allem wenn es um ihre eigene Haut geht. Heereschef Rios Erenu ist - wie von den Meuterern gefordert - zurückgetreten. Der Oberste Gerichtshof hat die Eröffnung der Prozesse wegen Menschenrechtsverletzungen gegen rund 250 Offiziere bis auf weiteres verschoben. Und zur Zeit tagt er, um eine Grundsatzentscheidung darüber zu fällen, ob den Folterknechten der Diktatur Befehlsnotstand zuzubilligen sei. Dies würde die Einstellung der noch laufenden und anstehenden Verfahren bedeuten. Die Meuterei und ihre Folgen haben die Schranken des historischen Projekts Alfonsins deutlich gemacht. „Nunca mas“ - „nie wieder“, hatte er verkündet. Nie wieder sollten Argentiniens Militärs in der Lage sein, zu putschen, zu foltern, zu morden, Personen verschwinden zu lassen. Das erklärte Ziel des Präsidenten war es, die bewaffnete Gewalt für immer der zivilen Gewalt unterzuordnen. Und zweifellos ist es sein historisches Verdienst, daß die obersten neun Verantwortlichen der Militärdiktatur der Jahre 1976 bis 1983 in einem regulären Zivilprozeß zu hohen, teilweise lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Nun trifft Alfonsin bei der Durchsetzung seines historischen Vorhabens auf erste Schranken, die tief in der Geschichte des Landes verwurzelt sind. Wie fast überall in Lateinamerika haben sich die Militärs in Argentinien im Gefolge der Unabhängigkeitskriege eine politische Machtposition erobert, die keine bürgerliche Klasse je ernsthaft in Frage stellte. Im Fall Argentiniens kommt erschwerend hinzu, daß die klassische Compradorenbourgeoisie ihre politischen Ambitionen fast ein Jahrzehnt lang - 1946 bis 1955 - an General Juan Peron delegierte. Dieser errichtete, gestützt auf eine gewerkschaftlich organisierte Massenbewegung, ein korporatives Machtsystem mussolinianischer Observanz, das die politische Kultur des Landes bis heute prägt. Der Peronismus bedeutete nicht nur die populistische Herrschaft eines Generals, sondern auch die weitgehende Zerstörung demokratischer Strukturen. Und nach dem Fall Perons machten die politischen Parteien bis hin zu den Kommunisten und den Guerillas der Montoneros den Militärs immer wieder Avancen, um ihre eigenen politischen Ziele durchzusetzen. Die argentinischen Militärs haben ihre Popularität durch die massiven Menschenrechtsverletzungen und noch mehr durch die schmähliche Niederlage im Krieg gegen England eingebüßt. Zum ersten Mal seit dem Aufstieg Perons haben sie damit einen strukturellen Machtverlust hinnehmen müssen. Alfonsin hat die Chance erkannt und als erster Präsident Argentiniens versucht, die Militärs aus der Politik zu verbannen. Mit der Entmilitarisierung der Politik hat er der argentinischen Gesellschaft einen neuen Weg gewiesen. Jetzt muß nur noch die Entpolitisierung der Militärs durchgesetzt werden. Thomas Schmid