Zum Tschernobyl–Jahrestag machen AKW–Gegner und Befürworter mobil

■ AKW–Betreiber wollen mit einem neuen Filter die Kernschmelze in geordnete Bahnen zwingen / Grüne legen Ausstiegsplan vor / In Bayern ist die Welt wieder in Ordnung

Von M. Geis und L. Koch

Bonn/München (taz) - Den Jahrestag von Tschernobyl nutzte die deutsche Energiewirtschaft, um ihr Ja zur Atomkraft zu bekräftigen. Stellvertretend für die Vorstandsmitgliedern der AKW–Betreiber bedauerte Hermann Krämer (Preussen Elektra) in Bonn, daß sich Tschernobyl „zu einem Fanal gegen die Kerntechnik entwickelt hat, obgleich schon sehr schnell klar war, daß zwischen dieser Reaktorkatastrophe und der Kernenergienutzung in unserem Lande keinerlei Zusammenhang besteht“. Um die Akzeptanz für AKWs in der Bevölkerung wiederzugewinnen, wies er auf die Entwicklung neuartiger Filteranlagen hin, mit denen die Folgen einer Kernschmelze auf die betroffene Anlage begrenzt werden könnten. Den Anteil der Atomenergie bei der Energieerzeugung bezifferte Krämer mit 35–36 Bau befindlichen Anlagen sei die Grundlast abgedeckt. Dennoch wolle man mit der neuen Hessischen Regierung über den Reaktorstandort Borken „im Gespräch bleiben“. Den Schnellen Brüter in Kalkar bezeichnete Krämer als „wichtige Option für die Zukunft“; eine Nicht–Genehmigung wäre bedauerlich, würde jedoch keine Versorgungsengpässe nach sich ziehen. „Die Auswertung der Erkenntnisse über den Reaktorunfall haben ergeben, daß Tschernobyl gottseidank nicht überall ist“, so gestern Staatssekretär Alois Glück vom Bayerischen Umweltministerium gestern. Für die bayerische Staatsregierung ist ein Jahr nach Tschernobyl die Welt wieder in Ordnung. Glück betonte, daß die mit der Reaktorkatastrophe verbundenen radiologischen Belastungen zu keinen erfaßbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen der bayerischen Bevölkerung geführt habe, auch nicht für das ungeborene Leben. Glück erwähnte auch die Untersuchungen des Berliner Genetikers Sperling zum Ansteigen von Trisomie 21 bei Kindern und wies auf seine revidierte Aussage hin. Die Grünen legten in Bonn ein „Sofort–Programm“ für den Atom–Ausstieg vor. Danach bleiben 46 Zeit entschwefelt werden. Lediglich vorübergehend sei ein Anstieg der Kohlendioxid–Emissionen unvermeidlich. Insgesamt sei eine „sofortige Abschaltung aller Atomanlagen selbst in extremen Belastungssituationen möglich“.