Polizeijagd nach Vobo–Flugblättern

■ Razzia in Wohnungen und Büroräumen von Vobo–Kontaktadressen und Unterstützergruppen in Rheinland–Pfalz / Staatsanwalt sieht in Aufforderung zum Heraustrennen der Bogennummern Anstiftung zu Sachbeschädigung / Bislang beispiellose Einschüchterungsaktion

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Ein kleines, gerade zwei mal fünf Zentimeter großes Fleckchen Papier war gestern An amten die Wohnungen der presserechtlich Verantwortlichen der Flugblätter und in Mainz die Büroräume des AStA, der DKP, der Grünen, der ESG und der Jungdemokraten, die das Flugblatt unterzeichnet hatten, auf den Kopf. Hintergrund dieser bisher beispiellosen, aber in Zukunft sicher nicht einzigartigen Polizeiaktion: nachdem bisher Bußgeldandrohungen die Boykottbewegung nicht einschüchtern konnten, soll nun ein Straftatbestand konstruiert werden. Die Aufforderung zum Herausschneiden der Ordnungsnummer aus dem unausgefüllten Fragebogen stelle eine Aufforderung zur Sachbeschädigung dar, argumentiert die rheinland–pfälzische Staatsanwaltschaft und verschaffte sich die Durchsuchungsbefehle. Gegen die presserechtlich Verantwortlichen des Mainzer Flugblatts hat die Staatsanwaltschaft mit dieser Begründung ein Ermitt lungsverfahren eingeleitet. Ihre Wohnungen wurden gestern früh von drei Beamten der Politischen Polizei und einem Vertreter des Ordnungsamtes „nach Beweismitteln“ durchsucht. Zeitgleich begehrten die Polizisten auch in die Büroräume der verschiedenen Unterstützerorganisationen Einlaß. Willkürlich wurde dabei manchmal nur ein Flugblatt „sichergestellt“, mal alle Schriftstücke, auf denen „Volkszählung“ stand, beschlagnahmt. Fortsetzung auf Seite 2 Daß gerade jetzt die Mainzer Justiz zum Rundumschlag ausholte, mag man mit den bevorstehenden Landtagswahlen am 17. Mai erklären. Das Bundesinnenministerium hatte jedoch schon am 30.3.87 anläßlich einer Anfrage der CDU–Fraktion den einzelnen Bundesländern nahegelegt, die Aufforderung zum Abtrennen der Bogen–Nummern als Straftat zu verfolgen. Rechtlich ist die Sache auch unter Juristen umstritten. Die einen argumentieren, die Verpflichtung, den Bogen wieder ausgefüllt zurückzugeben, belege, daß der Bogen nicht Eigentum des Auszufüllenden, sondern des Staates sei. Dem halten andere entgegen, der unausgefüllte Bogen sei ein Formular wie viele andere auch, das niemand unbeschädigt lassen müsse. Schließlich sehe das Volkszählungsgesetz ja auch in dem Verlieren, Beschmieren oder dem unsachgemäßen Ausfüllen des Bogens keine strafbare Sachbeschädigung, sondern bestenfalls eine Ordnungswidrigkeit.