Die Kerntechnik ist eine Polittechnik

■ Wie die Kraftwerk Union ihre Mitarbeiter zur Propaganda anfeuert / „Der Unfall hat uns zu einem Zeitpunkt erwischt, der schlimmer nicht hätte sein können“

Der Manager der Kraftwerk Union (KWU), Dr. Klaus Barthelt, hat in einem Vortrag vor Firmenangehörigen in Offenbach seine Mannen eingeschworen und zur Verstärkung der Propaganda für die Atomenergie aufgefordert. Aus seinem Vortrag vom 19.6.86, der unserer Redaktion vorliegt, dokumentieren wir die interessantesten Passagen. Die nach dem Unfall von Tschernobyl erneut aufgeflammte Diskussion um den Ausstieg aus der Kernenergie macht verstärkte Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit erforderlich. Einige Aktionen unter vielen anderen laufen schon, zum Beispiel Zeitungsanzeigen, Pressegespräche, Besichtigungseinladungen, Vortragsveranstaltungen. Für eine noch größere Breitenwirkung benötigen wir die Mitarbeit jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters: - Machen Sie sich Gedanken darüber, wie wir - als KWU - dafür sorgen können, daß die Mitbürger zu unserer Technik wieder mehr Vertrauen haben (gute und neue Gedanken können auch über das betriebliche Vorschlagwesen honoriert werden). - Geben Sie uns bekannt, wenn Sie hören, daß ein Vortrag von Kernkraftwerksgegnern geplant ist. - Schreiben Sie Leserbriefe. - Versuchen Sie auch in Ihrem Bekanntenkreis, das Gespräch auf die Atomkraft zu lenken. (...) Wir haben immer gewußt, daß - ganz gleich, wo ein schwerer Kernkraftwerksunfall passieren würde -, wir alle davon in hohem Maße betroffen sein werden. Daß die Reaktion um uns herum dann noch schlimmer sein würde, als wir uns das in den negativsten Träumen ausgemalt haben, ist leider Realität geworden, bittere Realität. Wir krempeln uns jetzt sozusagen die Ärmel hoch und beginnen mit einer Arbeit, die uns lange, lange Zeit beschäftigen wird, die uns viel Stehvermögen abverlangen wird, viel Überzeugungsarbeit und vor allem auch viel Geduld, um mit den verängstigten und besorgten Menschen umzugehen. Wir wissen es alle: Der Weg der Kernenergie in die Normalität ist drastisch unterbrochen. Wir werden viel aufzuwenden haben, um dahin zurückzukehren. Ich bin sicher, daß dies eines Tages gelingen wird, wenngleich ich ebenso sicher bin, daß eine Reihe von uns dies nicht mehr in ihrer aktiven Dienstzeit erleben werden. Wir haben schon viel Schlimmes durchgestanden - wir werden auch dieses durchstehen. Wir haben gewußt und wissen es schmerzhaft jetzt bestätigt: Die Kerntechnik ist eine Polittechnik, die mehr von uns verlangt, als dies auf anderen Arbeitsgebieten notwendig und üblich ist. Der Unfall in Tschernobyl hat uns zu einem Zeitpunkt überrascht, der nicht hätte schlimmer sein können, nämlich in der Wahlkampfzeit für die Niedersachsen–Wahl und - fast noch gravierender - in der längst begonnenen Wahlkampfzeit für die Wahl zum Deutschen Bundestag Anfang des nächsten Jahres. Und wegen dieses Zusammentreffens des Unglücks mit der Wahlkampfzeit haben wir nicht nur den Eindruck, daß Tschernobyl überall zu sein scheint, sondern daß Tschernobyl offenbar mitten in Deutschland liegt. (...) Lassen Sie mich damit beginnen, daß wir im Vorstand beschlossen haben, es weder am Einsatz von Menschen, die natürlich von ihrer sonstigen Tätigkeit freigestellt werden müssen, noch am Geld fehlen lassen wollen. (...) Seit mehr als zehn Jahren führen wir in der KWU im Durchschnitt der Jahre mehr als 1.500 Veranstaltungen jeder Art durch. Das alles sind natürlich nur Tropfen auf heiße Steine, aber niemand kann vorrechnen, was geschehen wäre, wenn diese 1.500 Veranstaltungen pro Jahr nicht gelaufen wären. (...) Die Firmenleitung hat immer den Standpunkt vertreten, daß wir jedwede politische Tätigkeit unserer KWU–Angehörigen in staatstragenden Parteien zutiefst begrüßen. Ich wiederhole: in staatstragenden Parteien, nicht in solchen, die sich zum Ziel gesetzt haben, das System, in dem wir leben, zu verändern. (...) Bisweilen wird in uns der Wolf gesehen, der die Schafe zählt. Und wenn einem daran gelegen ist, daß eine Überzeugung wirklich an unsere Mitmenschen gelangt, dann ist es bisweilen besser, daß diese Aussage nicht von uns kommt. Wenn z.B. über die Folgen der radioaktiven Belastung aus Tschernobyl in der Bundesrepublik geredet wird, dann tritt dem besser die Bundesärztekammer entgegen als die KWU, von der gar zu viele unserer Mitmenschen annehmen, daß es sich dabei um eine Kernkraftwerk Union handelt, die eben nichts anderes kann und tut, als für die Kernenergie einzutreten, und also parteilich ist. Wir haben zu respektieren, daß es sich bei dem Phänomen der Radioaktivität um etwas handelt, was belastet ist durch die häßliche Schwester der Kernenergie, nämlich die nukleare Waffe, und ferner belastet ist durch den Umstand, daß es kein Sinnesorgan gibt, das die Menschen vor Radioaktivität warnt; man kann sie nicht sehen, riechen, hören, schmecken, und das ist wohl der tiefere Grund dafür, daß die Radioaktivität den Menschen zutiefst unheimlich ist. Dankbar sollten wir zur Kenntnis nehmen, daß wir auch heute nicht allein stehen. Wir sollten nach Kräften denen helfen und sie unterstützen, die ebenfalls versuchen, der energiepolitischen Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Hier denke ich vor allem an die zur Verfügungsstellung unseres Sachverstandes für die entsprechenden Multiplikatoren in den Medien. Dazu gehört übrigens auch, daß man sich einmal bei einem Autor, Redakteur oder auch Intendanten für eine Sendung bedankt, die einem besonders gut gefallen hat - Anruf oder Postkarte genügt!