Staatlicher Amoklauf

■ Zur Repression gegen Gegner der Volkszählung

Ein neues Strafgesetzbuch braucht dieses Land! Eines, das mangelnde Hochachtung vor amtlichen Formularen unter Strafe stellt, das teure Ablaßzettel an die verkauft, die schändliche Bücher vertreiben, und das denen zehn Peitschenhiebe verabreicht, die Worte wie „Boykott“, „rechtliche Möglichkeiten“ oder gar „Schafe“ in den Mund nehmen. Eine neue Rechtsauffassung muß her, nach der schon die „mittelbare“, die gedachte, durch „Begleitumstände naheliegende Tat“ unter Kuratel gestellt wird. Ein solches mittalterlich archaisches oder bestenfalls noch preußisches Gesetzeswerk bräuchte es, um das „rechtsstaatlich“ nennen zu können, was zur Zeit an kleinen und großen Abschreckungsschikanen gegen die Volkszählungskritiker ins Werk gesetzt wird. Denn mit unserer „freiheitlich demokratischen Grundordnung“, mit Meinungsfreiheit oder gar Demokratie hat das wenig zu tun. Hab Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen zu mir, schreit uns der Staat wie der Rotkäppchen–Wolf mit Kreidestimme von den Volkszählungsplakaten entgegen. Aber wer hat schon Vertrauen in einen Staat, der bei dem ersten Zeichen von Widerstand wie ein Angstbeißer die Zähne fletscht? Und wer überläßt seine Daten einem Staat, der zum Beweis für den Schutz der Daten einzig auf Recht und Gesetz verweist, aber genau das zur Beschaffung dieser Daten schon x–mal gebrochen hat? Wenn jetzt nicht nur Politiker, sondern - wie in Bonn und Mainz geschehen - auch Staatsanwälte und Amtsrichter die Grundrechte und juristische Verhältnismäßigkeit der Staatsraison opfern, dann ist es gerade für bürgerliche Öffentlichkeit, die den Volkszählungskritikern Rechtsbruch vorwirft, höchste Zeit, sich Gedanken zu machen: Gedanken darüber, welcher Staatsraison all die wohlklingenden Datenschutzparagraphen des Volkszählungsgesetzes wohl geopfert werden, wenn der Staat einmal mehr zu befürchten hat als den Ungehorsam beim Ausfüllen eines amtlichen Papiers. Vera Gaserow