Alternative Wirtschaftsprogramme gegen die Krise

■ Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ legte am Montag in Bonn ihr neues Gegengutachten zur offiziellen Wirtschaftspolitik vor / Motto des Memorandums 87: „Am Beginn des Abschwungs - Mit Arbeitszeitverkürzung und Umweltprogrammen gegen die Krise“ / Die taz dokumentiert die Vorschläge für Sofortmaßnahmen

Auch in diesem Jahr hat die „Memorandum“–Gruppe die offizielle Bonner Wirtschaftspolitik und deren wissenschaftliche Ausstattung durch Auftragsarbeiten diverser Wirtschaftsforschungsinstitute auseinandergenommen. Im ersten Teil ziehen sie eine negative Bilanz des nun gebrochenen vierjährigen Wirtschaftsaufschwungs (der zwar eine neue Welle von Unternehmenskonzentration und Gewinnexplosionen gebracht habe, aber keinen wirkungsvollen Abbau der Arbeitslosigkeit) und analysieren die vor allem durch die Exportabhängigkeit der bundesrepublikanischen Wirtschaft verschärften und mittlerweile auch von anderen Instituten nicht mehr bestrittenen negativen Konjunkturentwicklungen, verbunden mit weiter steigender Arbeitslosigkeit. Als wirksamste Abbaumaßnahme wird die Forderung nach der 35–Stunden–Woche angesehen. Ab Punkt 9 präsentieren die Wissenschaftler ihre wirtschaftspolitische Konzeption. 9. Angsichts der bevorstehenden Rezession bekräftigen wir unsere Forderung aus dem vergangenen Jahr nach einem 100–Milliarden–Beschäftigungsprogramm, das in einem Zeitraum von zwei Jahren realisiert werden kann und 800.000 Arbeitsplätze sowie 100.000 Ausbildungsplätze schafft. Es geht dabei um eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Gemeinden in Anknüpfung an die positiven Erfahrungen mit dem „Zukunftsinvestitionsprogramm“ von 1977 bis 1980. Die Masse der Ausgaben muß auf der Ebene getätigt werden, wo der Bedarf am dringendsten ist: bei den Kommunen. Die größten Bedarfsbereiche sind die ökologische Infrastruktur, die Energieeinsparung sowie die Verkehrssanierung. (...) In diesem Jahr konzentrieren wir uns auf den Vorschlag eines ökologischen Sofortprogramms für einen Zeitraum von fünf Jahren. Dieses Programm erfordert - bei Verwirklichung des Gemeinlastprinzips in der Umweltpolitik - zusätzliche öffentliche Ausgaben von jährlich 52 Milliarden über fünf Jahre, denen jedoch steigende Einnahmen aus Abgaben und Gebühren gegenüberstehen. Darüber hinaus beinhaltet das Sofortprogramm - bei Verwirklichung des Verursacherprinzips in der Umweltpolitik - eine Reihe von administrativen Neuregelungen in Form von staatlichen Ver– und Geboten, Senkung von Grenzwerten, Erhebung von Schadstoffabgaben etc. Der umweltpolitische Ausgabenbedarf ist bei weitem größer als bislang vermutet wurde. Berücksichtigt man lediglich die Kosten, die der öffentlichen Hand entstehen, ergibt sich gegenwärtig ein Gesamtbedarf von 658 Milliarden DM in den vier Belastungsbereichen: Luftreinhaltung einschließlich Fernwärmeausbau (92,5 Mrd. DM), Gewässerreinhaltung (42,2 Mrd. DM), Bodenschutz (84 Mrd. DM) und Lärmschutz bzw. Verkehrssanierung (439 Mrd. DM). Vor allem Maßnah men zum Bodenschutz sind besonders dringlich; allein die Altlastensanierung wird 17 Milliarden DM kosten und die Sondermüllbeseitigung 50 Milliarden DM. Wer den Umweltschutz ernst nimmt, kommt an diesen gewaltigen Ausgaben nicht vorbei. Sie sind beileibe kein ökologischer Luxus und unproduktiv, sondern unabdingbare Ausgaben für die Erneuerung bzw. den Aufbau einer ökologischen Infrastruktur. Der Beschäftigungseffekt dieses umweltpolitischen Sofortprogramms mit einem jährlichen Volumen von 52 Milliarden DM über fünf Jahre liegt - ohne Berücksichtigung von Multiplikatoreffekten - bei rund 670.000 neu ge schaffenen oder gesicherten Arbeitsplätzen. Zur Finanzierung eines solchen Programms haben wir bereits in früheren Momoranden auf die erheblichen Selbstfinanzierungseffekte durch den Abbau der Arbeitslosigkeit hingewiesen und darüber hinaus die Verbesserung des Steuereinzuges und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung, den Abbau von Subventionen, gezielte Steuererhöhungen für Besserverdienende, den Verzicht auf die Steuerentlastung 1988 sowie eine Ausweitung der programmbezogenen Nettokreditaufnahme gefordert. Im einzelnen fordern wir im Rahmen des umweltpolitischen Sofortprogramms: - die Neugestaltung des Verursacherprinzips durch Einführung der verschuldungsunabhängigen Haftung der Verursacher, durch die Beweislastumkehr (der vermutete Verursacher wird beweispflichtig) sowie durch die Einführung der Verbandsklage; - die schärfere Kontrolle der Verursacher durch bessere personelle Ausstattung der Vollzugsbehörden, durch neue Meßtechniken, durch mehr Transparenz, u.a. das Recht der Bürger auf Akteneinsicht; - schärfere Sanktionierung von Verstößen gegen die Umweltgesetze, notfalls auch durch sozialverträglich zu gestaltende Produktionsstillegungen. (...) 10. Solange die Arbeitslosigkeit nicht abgebaut ist und die Ausgrenzung eines immer größeren Teils der Arbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung anhält, haben Maßnahmen zur materiellen Sicherung der Arbeitslosen einen hohen Stellenwert für ein Sofortprogramm. Um die Lücke im Netz der sozialen Sicherung zu füllen, fordern wir erneut die Einführung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung für Arbeitslose. Arbeitslose müssen vor dem Abstieg in Armut und Verelendung geschützt werden. Die Mindestsicherung muß allen Arbeitslosen, unabhängig von zurückgelegten Anwartschaftszeiten, gewährt werden, also auch denjenigen Arbeitslosen, die aus dem (Aus–)Bildungssystem oder dem Reproduktionsbereich (Hausfrauen) kommen und Arbeit suchen. Die Höhe dieser vom Bund zu finanzierenden Leistung sollen dem tatsächlichen Bedarf der Unterstützungsempfänger entsprechen. Auf diese Höhe sollen auch die Sozialhilfesätze angehoben werden. 11. Die von uns geforderten Maßnahmen sind weitreichende, grundlegende Alternativen zur Politik der Bundesregierung. Sie können nur durch eine breite Mobilisierung der Betroffenen, aller, die am Abbau der Arbeitslosigkeit und dem Ende der Umweltzerstörung ernsthaft interessiert sind, durchgesetzt werden. Sie werden auf den harten Widerstand derjenigen stoßen, die von den gegenwärtigen Verhältnissen profitieren. Wer Verschlechterungen nicht nur ständig abwehren will, kommt nicht daran vorbei, eigene Alternativen zum herrschenden Trend zu entwickeln. Gute Alternativen können die Gegenwehr stärken und breite Mobilisierung kann die Alternativen zur Wirklichkeit machen. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik