Blumen und Most auf besetztem Mast

■ Strommastbesetzung von Reutlinger „Robin Wood“ seit vier Tagen / Weder Polizei noch Energieversorgungsunternehmen wollen eingreifen / Besetzung wird unbefristet fortgesetzt

Von Dietrich Willier

Mittelstadt/Reutlingen (taz) - Sprosse für Sprosse geht es an einem der Stützpfeiler in die Höhe. Lieber nicht nach unten schauen. Da war doch vor kurzem dieses Schwindelgefühl, am Schreibtisch. Aber jetzt, hier, ist der Acker weich genug für den freien Fall aus 15 Metern. Die Angst muß an die Leine. Anne, Erich und Karl werfen ein Kletterseil herunter. Die Knie werden wieder stabil, in wenigen Minuten stehe ich auf der selbstgebastelten Plattform , 30 Meter über dem Areal für das geplante Atomkraftwerk. Es ist zugig hier oben, links und rechts singen die Überlandleitungen, ab und zu geht ein Zittern durch den 60–Meter–Masten. Vier Tage halten Anne, Erich und Karl von der Reutlinger Robin–Wood– Gruppe hier ober schon aus, erst zwei heiße Frühlingstage, dann einen Tag und die folgende Nacht im strömenden Regen. Jetzt ist es wieder trocken. Am Sonntag waren trotz strömendem Regen Hunderte von Besuchern gekommen, das geplante Fest fiel ins Wasser. Dafür wurde über einen Flaschenzug körbeweise Essen und Trinken auf die Plattform gezogen. Seit Beginn der Besetzung des Hochspannungsmastes kommen Leute aus Mittelstadt und bringen Kuchen, Sekt, Kaffee, Most und Blumen. Regelmäßig fährt ein Streifenwagen der Polizei unter dem Mast vorbei: Die öffentliche Ordnung aber, sagen die Polizisten, sei nicht gestört. Auch die Eßlinger Neckarwerke, Energieversorger der Gegend und Eigentümer des Hochspannungsmastes, hat nichts gegen die Robin–Wood–Aktion, solange eben nichts beschädigt wird. Lebensgefährlich, so ein Sprecher, würde es da oben nur, wenn der Blitz einschlüge. Die Forderungen der Mastbesetzer nach einer Offenlegung der Standortplanung für ein hiesiges AKW und ein öffentliches Hearig über Sinn und Gefahren der Atomenergie hat der Vorstand der Neckarwerke bisher abgelehnt. Bis es doch zustandekommt, wollen die Robin–Wood– Aktivisten auf ihrem Hochsitz bleiben. Ist es nicht schön hier oben, fragt Erich, und das soll ein AKW– Standort werden? Nachts sei der Hohen–Neuffen, ein schroffer Felsabbruch der Schwäbischen Alb, sogar beleuchtet, schwärmt Anne: Wollt ihr nicht über die taz dazu aufrufen hier noch weitere Masten zu besetzen? Wir könnten dann in einem Wettbewerb den schönsten prämieren! Würde dieser verdammte Mast nicht dauernd zittern, es wäre fast gemütlich zwischen den Schlafsäcken, Eßkörben, Kaffetassen und Mostflaschen hier oben. Du mußt runter, sagt Karl, unten beginnt in fünf Minuten unsere Pressekonferenz. Ein paar Fotos noch, dann werde ich abgeseilt. Hast du Angst gehabt, fragt ein kleiner Junge aus dem Dorf? Die Knie zittern schon wieder ein wenig. Ein Jahr nach Tschernobyl sei immer noch nichts geschehen, die geplanten Atomanlagen würden allesamt weitergebaut. Abstriche am bundesdeutschen Atomprogramm gebe es nicht, trotz 80 Prozent Gegner bundesweit und 83 Prozent hier. Auch die Mastbesetzung, meint der Bodenposten der Robin–Wood–Gruppe, würde von den Neckarwerken bisher ignoriert - vielleicht müsse man die Masten ja wirklich erst absägen, damit etwas geschieht.