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Gespenst Boykotteursdatei?

Berlin (taz) - Seit der Spiegel das Schreckgespenst in seine Zeilen malte, ist es das beliebteste Argument von unentschlossenen Volkszählungsgegnern: Die ganze Volkszählung würde ja nur zur Erfassung des linken Protestpotentials durchgeführt, denn was böte sich hinterher mehr an als eine staatliche Boykotteursdatei. Nun ist dieses Argument so stichhaltig wie die Annahme, die AKWs seien nur zum Zwecke der Erfassung der Anti–Atombewegung gebaut worden. Dennoch lohnt es sich, die vermeintliche Boykotteursdatei genauer unter die Lupe zu nehmen. Tatsächlich ist so gut wie sicher, daß die Statistischen Landesämter im Zuge der Rücklaufkontrolle der Fragebögen eine Liste all derer erstellen werden, die ihren Bogen trotz Mahnschreiben nicht abgegeben haben. Diese Liste wird, wenn die Behörden sich tatsächlich den immensen bürokratischen Aufwand zutrauen, Bußgeldverfahren einzuleiten, aus den Statistischen Landesämtern hinaus an die Justizbehörden gelangen. In ihr wird aber jede Person aufgeführt sein, die den Bogen, aus welchen Gründen auch immer, nicht zurückgegeben hat. Zu diesen Personen zählen z.B. die 400 - 800.000 Bundesbürger, die selbst offizielle Stellen für schlichtweg „nicht erreichbar“ halten. Hinzu kommen all diejenigen, die längerfristig verreist sind oder für längere Zeit im Krankenhaus landen. Als Boykotteure wider Willen würden auch all die Personen auftauchen, die wegen ungeklärter Meldeverhältnisse gar nicht erfahren haben, daß längst ein Fragebogen auf sie wartet. Ein typisches Beispiel dafür: Herr und Frau Müller leben getrennt. Wegen der günstigeren Steuerklasse bleibt er aber noch bei ihr gemeldet. Weil sie sich nicht traut, dem Zähler die Wahrheit zu sagen, nimmt Frau Müller auch für ihren Mann den Bogen entgegen, händigt ihm den aber nicht aus, schon steht Herr Müller in der „Boykotteursdatei“. Die Liste der unfreiwilligen Boykotteure in der vermeintlichen Boykotteursdatei ließe sich um zahllose Fallgruppen ergänzen. Aus der Tatsache, daß ein Bogen nicht abgegeben wurde „können wir nicht folgern, daß hier ein Verweigerungsfall vorliegt“, gestand deshalb jüngst auch der Leiter des Statistischen Landesamtes Köln in einem Interview ein. „Bei einem Verfahren müßten wir die Verweigerung ja auch nachweisen können.“ Zu den unfreiwilligen Verweigerern kommen mit großer Gewißheit „echte“ Boykotteure hinzu, die keineswegs dem linken Protestpotential zuzuordnen sind: kleine Selbständige, Landwirte, oder Steuerberater, die zu Recht Sorge haben müssen, daß über die Kombination der Personen– mit der Arbeitsstättenzählung genaue Angaben über ihre Einkommensverhältnisse ans Tageslicht kommen, die sie staatlichen Stellen nicht preisgeben wollen. Doch selbst wenn die „Boykotteursdatei“ nur die „harten“ Verweigerer „auflisten würde, hätte diese ach so gefürchtete Datei einen Umfang von rund zwei bis fünf Millionen Personen, denn so hoch wäre die Zahl, wenn - wie selbst die jüngsten offiziellen Umfragen meinen - vier bis acht Prozent die Befragung „hart“ verweigern. Auch ohne die vielen unfreiwilligen Boykotteure wäre eine solch umfangreiche Datei schon nicht mehr aussagekräftig. Sie könnte nur noch benutzbar sein im Zusammenhang mit anderen „Störer–“ oder „Protest“–Dateien, und in denen haben all die, die jetzt vor der Boykotteursdatei warnen, eh schon ihr „Sündenkonto“ überzogen. Vera Gaserow

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