EG–Finanzreform tritt auf der Stelle

■ Kommissionspräsident: Ab Oktober droht Pleite / Erneut Streit um Regionalhilfe / Mit dem Beitrittsgesuch der Türkei nicht befasst

Berlin/Brüssel (dpa/taz) - Kein Stück weitergekommen sind die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am Sonntag und Montag bei ihren Beratungen über die Finanzreform der EG. Die für die Bundesrepublik teilnehmende Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Irmgard Adam–Schwätzer, bezweifelte denn auch, daß diesbezüglich konkrete Beschlüsse beim nächsten Gipfel der Staats– und Regierungschefs zu erwarten sind. Dabei drängt die Zeit. EG– Kommissionspräsident Jacques Delors erklärte nach der gescheiterten Sitzung vor der Presse, das EG–Budget sei nur wegen „buchhalterischer Tricks“ nicht schon seit 1983 offiziell defizitär. „Die Kommission weigere sich indes, diesen Weg der Tricks weiterhin zu beschreiten“. Die EG darf sich nach ihren selbstgesetzten Bestimmungen offiziell nicht verschulden. Allein die Agrarpolitik - mit fast drei Vierteln größter Batzen auf der Ausgabenseite - verschlingt nach Angaben Delors im laufenden Jahr etwa 5,8 Milliarden DM mehr als veranschlagt. Der Gemeinschaft drohe wegen einer Haushaltslücke in Höhe von insgesamt 10,5 Milliarden DM spätestens Ende Oktober die Zahlungsunfähigkeit. Sollten die notwendigen Entscheidungen nicht fallen, müßten zwangsläufig die freiwilligen Ausgaben wie etwa Geldmittel auf regionaler und gesellschaftlicher Ebene gestrichen werden. Bei den Agrarausgaben will Delors dadurch sparen, daß die Gelder für den Aufkauf zu Mindestpreisen an die Mitgliedsstaaten nicht mehr im voraus, sondern im nachhinein bezahlt werden. Dies bringt angeblich Einsparungen von 5,8 Milliarden DM. Umstritten war bei den Beratungen der Delors–Vorschlag, zur Gemeinschaftsfinanzierung künftig nicht mehr das Mehrwertsteueraufkommen der Mitgliedsstaaten, sondern das Bruttosozialprodukt als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, womit der Haushalt bis 1992 um rund 50 Prozent aufgestockt werden könnte, und die reicheren Länder stärker zur Kasse gebeten würden. Großbritannien bestand darauf, auch weiterhin einen Rabatt auf seine EG–Beiträge zu erhalten. Um die kurzfristige Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, müßten die Staaten zusätzlich rund 3,4 Milliarden DM aufbringen, darüber hinaus müßte auch der Anteil der Mehrwertsteuer von 1,4 Prozent voll ausgeschöpft werden, was bisher nicht der Fall ist. Entsprechend dürfte beim Bundeshaushalt auch der Druck zu Mehrwertsteuererhöhungen wachsen. Abermals war die Aufstockung des EG–Ausgabenanteils für Regional– und Strukturpolitik Zankapfel zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern. Die von Delors vorgeschlagene Verdoppelung wird von Bonn, London und Paris als zu umfangreich, von Portugal, Griechenland und Irland dagegen als zu knapp abgelehnt. Die reicheren nördlichen Länder (bis auf Irland) würden bei einer solchen Verdoppelung am stärksten zusätzlich belastet. Auf der anderen Seite profitiert ihre agroindustriell ausgerichtete Landwirtschaft am stärksten von der landwirtschaftlichen Subventionspolitik. Der bislang extrem hohe Anteil der Agrarausgaben kommt mithin vor allem ihnen zugute, während Struktur– und Regionalförderung in Gebieten wie Sizilien oder Griechenland zum Tragen kämen. Auf Antrag Griechenlands wurde die Eröffnung der Debatte um das türkische Beitrittsgesuch zur EG erstmal vertagt. Die Kommission wurde jedoch zu einer Stellungnahme beauftragt. Ulli Kulke