„In dieses Haus darf niemand rein“

■ Zum 55. Mal steht der südkoreanische Oppositionspolitiker Kim Dae–Jung zur Zeit unter Hausarrest / Vergeblich versuchte der taz–Reporter, ihn zu besuchen / Das ganze Viertel ist hermetisch abgeriegelt / Droht ihm ein neues Gerichtsverfahren?

Aus Seoul Jürgen Kremb

Die Barriere ist gut einen Meter hoch, aus dickem Stahlrohr und schwarz–gelb markiert. Hinter ihr haben sich junge Männer in grüner Kampfuniform mit Springerstiefeln aufgebaut. An ihrer Koppel hängt ein langer schwarzer Holzknüppel, mit den Händen stützen sie sich lax auf große Metallschilde. Sobald ein Besucher naht, nehmen die sieben sogenannten „Polizisten zur Aufstandsbekämpfung“ Haltung an. Die Schultern fest aneinander gedrückt, den Schild in den Boden gerammt, ist ein Durchkommen unmöglich. Auch ein Presseausweis hilft da nicht weiter. Die jungen Rekruten radebrechen ein „Sorry, sorry“, sind verlegen und wissen nicht, wie sie das erklären sollen. Der Einsatzleiter hat da offensichtlich weniger Hemmung. Flugs springt er aus einer schwarzen Deawoo–Limousine, zieht die Fliegerjacke über den dicken Bauch und notiert sich die Nummer des Passes. Dann spannt er seine Lederhandschuhe über die Finger und meint: „In dieses Haus darf niemand rein.“ Der Bewohner von Hausnummer 178–1 in der Dong Kyo–Dong Straße in Seouls südlichem Ma–Po–Viertel heißt nämlich Kim Dae–Jung. Es ist das 55. Mal, daß die Militärregierung über einen ihrer schärfsten Kritiker Hausarrest verhängt hat, seit Kim im Februar 1985 wieder zurückkehrte. Doch der 65jährige ist nicht nur durch ein kleines Häuflein Polizisten von der Außenwelt abgeschnitten. Das ganze Viertel ist hermetisch von Polizei in Zivil und jungen Rekruten der „Riot–Police“ abgeriegelt. „Diesmal haben 1.500 Mann Tag und Nacht das Haus umstellt“, gibt einer von Kims Privatsekretären mit hörbarem Frust in der Stimme am Telefon Auskunft. Ein Durchkommen ist unmöglich. An jeder Ecke des Viertels parkt quer über die Straße ein Reisebus mit vergitterten Fenstern. Jeweils vor und hinter dem Vehikel steht ein Polizist in voller Montur. In den Bussen dösen junge Polizisten vor sich hin. Die großen Zufahrtstraßen sind mit drei bis fünf dieser fahrbaren Rammblöcke zugestellt. „Der Rekord an Hausarrest“, berichtet der Sekretär von Kim D.J., wie ihn die staatlich gelenkte Lokalpresse nennt, weiter, „lag bei drei Monaten, als wir 1985 aus den USA zurückkamen.“ In der Vergangenheit wurde der Regimekritiker noch relativ zuvorkommend behandelt. Freunde, Verwandte, seine Mitarbeiter sowie vor allem in– und ausländische Journalisten durften Kim besuchen. Doch damit ist jetzt Schluß. Seit dem 13.4. steht Kim im eigenen Haus unter Isolationshaft. Hausarrest ist neben Folter, Einkerkern oder Einschüchterung das gängigste Mittel des südkoreanischen Militärregimes, um Oppositionspolitiker und unangenehme Dissidenten vom Protest abzuhalten. Vor den zahlreichen Demonstrationen für eine Verfassungsreform, die im letzten Jahr im ganzen Land stattfanden, hatte die Polizei wiederholt alle wichtigen Politiker außerhalb der regierenden Demokratischen Gerechtigkeitspartei“ kurzerhand unter Hausarrest gestellt. Auch Kim Young–Sam, nach Kim Dae–Jung der bekannteste Oppositionsführer Südkoreas, stand nach Chuns Coup dEtat im Jahre 1980 zwei Jahre unter Hausarrest. Bei Kim Dae–Jung kommt allerdings hinzu, daß die Militärregierung unter Präsident Chun Doo–Hwan ihn 1980 nach dem Massaker in der Stadt Kwangju zum Tode verurteilt hat. Die Strafe wurde zwar später auf Druck aus den USA in 20 Jahre Haft umgewandelt und dann zur „Bewährung“ ausgesetzt, doch nur solange, wie er sich nicht politisch betätigt. Kim Dae–Jung war bisher als Gründungsmitglied des Dachverbandes aller südkoreanischen Dissidentenverbände, dem Komitee zur Wiederherstellung von Demokratie, aufgetreten. Außerdem galt er neben Kim Young–Sam als Ratgeber der „Neuen Koreanischen Demokratiepartei“ (NKDP), die sich am achten April gespalten hatte. Seit Kim Dae– Jung mit seinem Namensvetter bekanntgab, eine neue Oppositionspartei gründen zu wollen, um die Opposition gegen die Regierung besser organisieren zu können, ist der verschärfte Hausarrest wirksam. Beobachter meinen auch, die Falken hätten sich im Regierungslager durchgesetzt, seit Präsident Chun bekanntgab, daß die demokratischen Reformen, die sich mit der angekündigten Verfassungsreform verbanden, bis nach Olympia 1988 auf Eis gelegt sind. Schlimmes ist zu befürchten: Letzte Woche stellte ein Gericht in Seoul fest, daß der Oppositionsführer seit seiner Rückkehr aus den USA mit seinen politischen Aktivitäten mehrmals gegen das Parteigesetz verstoßen habe. „Damit hat er sich quasi wieder straffällig gemacht“, so ein Beobachter, „und kann jederzeit wieder verurteilt werden.“