Mit Waffenschein im Boxberger Wilden Westen

■ Drohbriefe an und nächtliche Angriffe auf Bundschuhbauern im Boxberg / Befürworter der Daimler–Teststrecke können sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht abfinden / Teststreckengegner sprechen von „Psychoterror“ / Pfarrer soll versetzt werden

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Noch wird die hübsche, etwas vereinsamte Landschaft im nordöstlichen Zipfel Baden–Württembergs Badisch–Sibirien genannt. Der Main–Tauber–Kreis, neben der fehlgeschlagenen Daimler– Benz–Teststrecke wohl nur durch die reaktionären Politzirkel des ehemaligen baden–württembergischen Ministerpräsidenten auf Schloß Weikersheim zu fragwürdiger internationaler Bekanntheit gelangt, wird sich neu definieren müssen. Badisch–Wild–West wäre wohl angemessen. Wer gehofft hatte, der Streit zwischen Befürwortern der Teststrecke und den jahrelang widerständischen Bauern des Boxberger Bundschuh habe mit dem Bau– und Enteignungverbot durch das Bundesverfassungsgericht ein Ende gefunden, kennt weder diese Gegend noch die Unfähigkeit der baden– württembergischen Landesregierung, Kröten zu schlucken. Schon am Tag der Urteilsverkündung war für die Bauern des Bundschuh klar, daß es auch eine außergerichtliche Einigung auf den Bau der Teststrecke, wie von der Landesregierung erhofft, nicht geben würde. Daß Ministerpräsident Späth und sein Staatssekretär Kleinert dennoch weiter mit diesem Gedanken spekulieren und auch Boxbergs Bürgermeister und die Teststreckenbefürworter in Hoffnung wiegen, hält Zwietracht, Haß, Neid und Gewalt aufrecht. Der Strom von Drohbriefen an Bundschuhbauern reißt nicht ab. Ein Faustschlag aus der Dunkelheit traf das Auge des Bundschuhgeschäftsführers Horst Oellers. Bäume wurden abgesägt, Kühe vergiftet, und ein Haus ist angefackelt worden. Nach dem Willen einiger Schwabhausener und Schillingstädter Bürger soll jetzt der evangelische Pfarrer abgelöst und versetzt werden. Robert Pöltl, ein sanfter Geistlicher, hatte sich jahrelang auf die Seite der widerständischen Bundschuhbauern gestellt und war sogar ihr stellvertretender Vorstandssprecher gewor den. In einem offenen Brief an den badischen Landesbischof war jetzt seine Versetzung gefordert worden. Pöltl wirft den Teststreckenbefürworter „Psychoterror“ vor; über Kinder würde versucht, die Eltern unter Druck zu setzen. Vor wenigen Tagen ersuchte der Bundschuhgeschäftsführer den örtlichen Kripochef erfolgreich um einen Waffenschein zum Selbstschutz. Das Urteil der Bundesverfassungsrichter fand der zuständige Landrat Denzer das „tollste, was ihm je zu Ohren gekommen ist“. Seiner Auffassung nach ist das Recht auf den Kopf gestellt worden. Es schmeckt nach Pogrom im Madonnenländchen. Dennoch, am kommenden Freitag und Samstag wollen die Boxberger Bundschuhbauern ihren Sieg feiern. Bei einem Waldspaziergang am Freitag mittag können die abgeholzten Schillingstädter Wälder, „Orte des Grauens“, und die Straßenbauruine der B 294 besichtigt werden. Am Samstag wird der vom Stuttgarter Grünen–Abgeordneten Rezzo Schlauch gestiftete Bio– Bulle geschmort. Nachmittags tagt die bundesweite Gemeinde der Bundschuhbauern. Die Rede zum ersten Bauernsieg seit 500 Jahren hält Bauer Hettinger. Für Musik bis in die Nacht sorgen Kölner Straßenmusikanten und Bernies Autobahnband.