: „Ron, laß dich nicht irre machen“
■ Eine Friedensdemonstration in Mutlangen bringt die örtliche CDU in erhebliche Schwierigkeiten
Hallo, sprech ich mit dem Büro von Heiner Geißler? - Ja, was gibts denn, wer sind Sie denn? Hier ist das CDU–Unterbezirkssekretariat Mutlangen, unser Sekretär muß unbedingt mit Herrn Geißler sprechen! - Ja, aber warum denn? Herr Geißler ist in einer wichtigen Besprechung im Küchenkabinett, da kann ich ihn jetzt auf keinen Fall rausholen. - Wir sind hier aber in einer echten Notsituation, Geißler muß unbedingt ans Telefon kommen. - Können Sie mir nicht erst einmal sagen, worum es sich eigentlich handelt? Vielleicht kann ich ihnen ja weiterhelfen. - Ja, also, wir machen hier gerade eine kleine Parteiversammlung anläßlich des 1. Mai. Kleine Feier im Saal, damit nicht noch eines unserer Mitglieder auf die DGB–Demonstration rennt. - Ja und, das ist doch eine nette Idee von Ihnen, wo liegt denn da das Problem? - Das Problem, das Problem ist ganz einfach. Vor der Tür steht ein Haufen Chaoten, es werden immer mehr, die machen da eine Demo, es ist furchtbar. - Wieso, was ist denn daran furchtbar? Rufen Sie die Polizei an, was hat Geißler denn damit zu tun? - Ja, wissen Sie, es sind nicht nur Chaoten, da sind auch amerikanische GIs mit dabei. - Amerikanische GIs ... sind Sie betrunken? - Nein, nein, das ist es ja gerade, hier ist ein Alptraum. Die Chaoten und die GIs halten zusammen Transparente hoch, „Ronnie vor“ und so weiter, „Ronnie, laß dich von Birne nicht irre machen“. „Es lebe die deutsch–amerikanische Freundschaft“. Was ist denn da in Bonn bei Euch los? ich verstehe überhaupt nichts mehr. - Also gut, ich hole Geißler. - Hier Geißler, was machen Sie denn für einen Wind, haben Sie denn die letzte Parteischulung „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ nicht mitgemacht? - Doch, doch, das ist es ja gerade. Deshalb weiß ich ja auch nicht, was ich machen soll. Die Chaoten behaupten ja gerade, unser Kanzler fällt Ronnie in den Rücken. Die behaupten doch tatsächlich, der Kohl will Ronnie nicht erlauben, den Kommis zu erlauben, ihre Raketen zu verschrotten. Das kann doch nicht wahr sein, Herr Geißler, sagen Sie doch, daß das nicht stimmt. - Ja also, Herr, Herr Sekretär, das ist ein bißchen komplizierter. Ich komme ja gerade aus einer Diskussion mit dem Kanzler und wir sind gerade dabei, eine Position zu der „atomaren Sonderbedrohung“ Deutschlands zu entwickeln. - Herr Generalsekretär, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Die Russen wollen Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, Ronnie offenbar auch, und in Bonn redet Ihr über eine Sonderbedrohung. Was soll ich denn den GIs und den Chaoten erzählen, die uns hier auffordern, mit ihnen für deutsch–amerikanische Freundschaft zu demonstrieren? Die Amerikaner gucken uns doch nicht mehr an, wenn wir das Ablehnen. - Ja Scheiße, wir überlegen doch gerade eine europäische Lösung. - Ja, wollt Ihr die Amis denn rausschmeißen? - Nein, nein, natürlich nicht. Aber es gibt nun mal weltpolitische Konstellationen, in denen eine exakte Interessenkongruenz zwischen den Amis und uns nicht gegeben ist. - Ja also, Herr Geißler, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was soll ich den Chaoten denn nun sagen? - Sagen Sie ihnen, der Kanzler denkt noch nach. JG
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