Boykottiert das Hauptquartier

■ Zur Lage der Grünen–Partei vor der Bundesversammlung / Über die Chance der Grünen, sich von ihren Strömungen zu emanzipieren

Mitte der sechziger Jahre hatte ich einmal auf der Straße ein Amulett gefunden, wie man es früher für Familienbilder benutzte. Mit einem Kopf von Karl Marx auf der einen und einem Kopf von Franz Kafka auf der anderen Seite habe ich es jahrelang zu den (auch damals immer) schwarzen Klamotten getragen. Die beiden und ihre präzise Beschreibung der Wirklichkeit hatten es mir irgendwie angetan. Dies Amulett - deja–vu - kam mir in den Sinn, als ich die März–Ausgabe von Konkret am Kiosk sah. Da war auch eine Familie portraitiert: Lenin/Gorbatschow/Thomas Ebermann. Dreieinig, sozusagen in einer aufstrebenden Reihe. Ich war tief beeindruckt, ehrlich. Womit ich bei meinem Thema wäre: Was beeindruckt uns (die Grünen, die Linken, die Alternativen) eigentlich? Was erzeugt jene produktive Unruhe, ohne die eine Bewegung nicht lebendig bleibt? Wie heißen die neuen Götter auf den linken Hausaltären? Ein lautloser Skandal ist zu vermelden. In der letzten Zeit ist ein dramatischer Prozeß abgelaufen, ohne daß er richtig bemerkt worden wäre: Ohne viel Trara wurde da - jedenfalls bei den Grünen - mal eben das Fell des Bären verteilt. Will sagen: Die Hausgötter wurden fest installiert, der Elite–Bildungsprozeß der Partei scheint abgeschlossen, die Meinungsführerschaft besiegelt, die Hausmachten rücken in Reih und Glied, der Stallgeruch beginnt zu miefen, der Filz filzt. Christian Schmidt hatte es - klassisch–hamburgisch - formuliert, als wir auf jener unseligen Fraktionssitzung den neuen Fraktionsvorstand zu wählen hatten: „Warum sollen Ebermann und Schily als Sprecher gewählt werden? Weil jederman sofort darauf kommt, daß sie die Sprecher sind!!“ Punktum. Sie sind es nun schon seit circa sechs Jahren. Ein Viertel des Zeitraums der Ära von Willy Brandt ist damit bereits erreicht. Natürlich gibt es da, grob und lückenhaft geschätzt, noch ein Dutzend andere (und selbstredend gehöre ich auch dazu). Was aber sagt das gegen die Berechtigung der bangen Frage: Das kann doch nicht alles gewesen sein... Oder doch? Für jede Partei muß es zu jeder historischen Epoche mindesten ein Anlaß zu spitzem Nachdenken sein, wenn die Schleusen dichtgemacht werden, über die neue Ideen einfließen können. Und neue Ideen kommen in vielen Fällen nur über neue Menschen. Das gilt veschärft für eine Partei, die Offenheit gerade für dieses Neue, für Utopisches nicht nur zu ihrem Programm gemacht hat, sondern die daraus auch ihre eigentliche und einzige Existenzberechtigung zieht. Die Ära Trampert–Ditfurth geht bei den Grünen zu Ende. Sie ist schon zu Ende gegangen, selbst wenn Jutta Ditfurth wiedergewählt wird. Und diese Ära war alles andere als eine glückliche Phase in der kurzen Geschichte der Partei. In ihr ist vielen Grünen und Nicht–Grünen die Lust und der Mut zur Politik ausgetrieben worden. Auf der Ebene des Bundesvorstands wird zur Zeit nur Nekrophiles verwaltet und betrieben. Wenn ich nur für einen Augenblick des Herrgotts Gewalt hätte, würde ich sagen: Alle sollen zurücktreten, um Neuen Platz zu machen. Und dann wollen wir mal sehen, was kommt. Auf der Suche nach Lösungsmodellen für die Krise einer Partei oder einer Organisation, die sich in der Betonierung des Kopfes, der Parteispitze, ausdrückt, lohnt sich vielleicht ein Blick darauf, wie andere Organisationen in ähnlicher Lage reagieren. Da bieten sich drei Modelle an, den schmerzhaften Anpassungsprozeß einer Partei an die neu entstandenen Wirklichkeiten des politischen Lebens zu vollziehen: Modell 1: Das Beispiel Willy Brandts. Konstitutiv für das sozialdemokratische Parteimodell ist die politische Kultur des Parteisoldatentums, der Unterordnung unter die sorgfältig ausgewählte Parteiführung, positiv ausgedrückt: der Treue zum Bestehenden und Kampferprobten. Das Modell ist risikoarm, sichert vor bösen Überraschungen und hält den schwerfälligen Tanker auf berechenbarem Kurs. Der Mangel dieses Modells liegt darin, daß es für stürmische Zeiten nicht taugt, daß die Anpassung an neue politische Herausforderungen dabei praktisch nicht vorgesehen ist. Wenn sie doch erfolgen soll, braucht es dazu eine hellsichtige, aufgeklärte, möglichst charismatische Führungspersönlichkeit an der Parteispitze, die mittels der ihr eigenen Autorität die notwendigen Neuerungen initiiert und dazu auch die entsprechenden Personen (die Enkel) aussucht, die sie ausführen sollen. Die Emanzipation geht dann nicht vom Individuum, dem Parteimitglied, aus, sondern fällt auf es herab und wartet auf die gehorsame oder erfreute Ausführung. Dieses Modell ist schon mit dem Ende des Vorsitzes von Willy Brandt in der SPD gescheitert, in der Sowjetunion wird es gerade mit ungewissem Ausgang erprobt. Für die Grünen ist es nicht anwendbar, da wir erstens keine charismatische Führungspersönlichkeit besitzen noch eine solche haben wollen, zweitens keinen entsprechenden Parteiapparat haben, drittens keine solche politische Kultur des Einhaltens von Beschlüssen einer wie auch immer gearteten Führungsebene kennen. Modell 2: Das Beispiel Mao Tse Tungs. Als die bürokratischen Verkrustungen und der Prozeß des Senil– Werdens in der KP Chinas offensichtlich wurden, heftete Mao Tse Tung eine Wandzeitung an eine Pekinger Mauer mit der Überschrift: Bombardiert das Hauptquartier! Getreu seinem Motto: „Wir können den Mond im neunten Himmel greifen/ und Schildkröten tief in den fünf Meeren fangen/ und wiederkehren mit Lachen und Triumphgesang/ nichts ist unüberwindlich in der Welt/ wenn Ihr es wagt, die Höhen zu erstürmen“, eröffnete er damit die chinesische Kulturrevolution. Das Aufbrechen der Apparate und die Umwälzung der verkrusteten staatlichen Strukturen sollte hier als Emanzipationsprozeß der politisch bewußten Volksmassen versucht werden und entsprach dem optimistischen Fortschrittsglauben der klassischen sozialistischen Tradition. Das Ergebnis ist bekannt und lädt nicht zur Nachahmung ein, zumal es ein demokratisches Bewußtsein der Bevölkerung voraussetzt, das niemals spontan ohne lange historische Erfahrung in Prozessen der Selbstorganisation erreichbar ist, und zumal es eine Führung voraussetzt, die - statt zurückzuklotzen - in der Lage ist, an ihrer eigenen Überflüssigmachung mitzuarbeiten. Modell 3: Ausbau der Parteiapparate und/oder der staatlichen Unterdrückungsinstrumente. Der weitaus häufigste Regelfall aber ist der: Wenn der Widerspruch zwischen der Parteiorganisation und den Emanzipationsbestrebungen der Individuen zu groß wird, reagieren fast immer die herrschenden Blöcke repressiv. Forderungen nach Veränderungen oder Reformen gelten als staatsumstürzlerisch oder konterrevolutionär. Die herrschende Elite bunkert sich ein und rüstet sich ideologisch auf gegen Dissidenten und Abweichler. Die Führungs ebene wird kaum noch erneuert, und wenn, dann nur nach dem Prinzip bedingungsloser Loyalität. Dieses Modell scheidet nun zwar für die Grünen ganz und gar aus - schon mangels des Zugriffs auf die Organe der staatlichen Macht -, wird aber im kleinen Parteirahmen immer wieder gerne und nach Kräften versucht (z.B. durch die Bildung von festen Strömungsblöcken und -loyalitäten und durch persönliche Gangs). Es ist das Modell, mit dem die Lust an der Politik am gründlichsten ausgetrieben wird und mit dem wir denen am schnellsten ähnlich werden, gegen die wir einmal aufgebrochen sind. Um unser augenblickliches Dilemma noch einmal genau und schmerzhaft zu beschreiben: Gerade die Partei, die das Thema der politischen Kultur auch und gerade in Hinsicht auf die Entwicklung der Partei selbst auf ihre Fahnen geschrieben hatte, hat die Vorsorge und Weiterentwicklung dieser politischen Kultur sträflich mißachtet. Es gibt ja auch kein Gremium und keine Funktion, die die Aufgabe haben könnte, darauf zu achten oder sie neuherzustellen, wenn sie beschädigt ist. Aber das, was nicht wertgeschätzt wird, verelendet oder stirbt schnell wie alles Unbetraute in der Welt. Von daher ist der Zustand des Bundesvorstandes ein Krankheitsanzeichen, das für die ganze Partei spricht, von allen individuellen Vorlieben der Beteiligten für Sektiererisches, Kleinliches und Zynisches einmal abgesehen. Einige schwerwiegende Abweichungen von einer politischen Kultur, die einmal bei den Grünen unausgesprochener Konsens war, seien hier stellvertretend genannt: An die Stelle des Konsensprinzips tritt zunehmend das knallharte Mehrheitsprinzip, obwohl jeder wissen müßte, daß dies bei den Grünen noch niemals zu tragfähigen Entscheidungen geführt hat. Statt einer ausgewogenen Repräsentation der verschiedenen Strömungen der Partei in allen Gremien (und da gibt es wahrhaftig mehr als nur zwei) bestimmen zwei Blöcke allein über das Wohl und Wehe des Ganzen, und dies noch so, als ob irgendwo an einem magischen Punkt zwischen dem Hochhaus Tulpenfeld und der Colmantstraße das ökologische Gleichgewicht der Partei als blinder Fleck läge. Wobei die öffentlichen Auseinandersetzungen meist nach dem Motto ablaufen: Wer in der letzten Runde eine Niederlage einstecken mußte, dem stehen im nächsten Ring noch zwei Kinnhaken frei. Ein Heiligtum der Grünen, die Minderheitenposition, wird dabei gelegentlich in erpresserischer Absicht eingesetzt. Neuaufkommende spannende Fragen der politischen Strategie oder der Bildung neuer oppositioneller Gruppen (z.B. die Mütterbewegung) werden entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder billig diffamiert. Überhaupt kommt die Kunst auf den Hund, den politischen Kontrahenten at its best zu interpretieren, um die eigene Position daran zu schärfen. Dabei landet, wer seinen Gegner erst einmal einen Meter tief in den Sumpf tritt, um besser drübersteigen zu können, in der Regel auch nicht auf festem Boden. Wenn mensch es nicht bei der Entlarvung bewenden lassen will, heißt die alte Frage also: Was tun? Mein Vorschlag lautet: Boykottiert das Hauptquartier! Womit ich nicht sagen wollte, daß wir keinen neuen Bundesvorstand wählen sollten. Nur: Es ist nicht - noch nicht - so entscheidend wichtig. Wie die Dinge liegen, werden wir irgendeinen wählen, und hoffentlich fällt er nicht zu katastrophal und zu einseitig aus. Zwar ließe sich träumen von einem Vorstand, von strömungs–widerspenstigen Frauen und Männern, die ko operationsfähig und kompromißfähig wären und dazu noch in der Lage, die Debatte über die strategisch wirklich wichtigen Fragen der Partei zu organisieren: Wie müssen die Schritte aussehen, mit denen eine politische Linke in der Bundesrepublik angesichts einer sich verfestigenden Bevölkerungsmehrheit für die Wendepolitik wieder neues Land gewinnt? Wie vermeidet man eine (offene oder verdeckte) Kurskorrektur der SPD Richtung große Koalition? Welche Rolle spielen die Grünen als Partei bei einer drohenden Ermattung von Teilen der außerparlamentarischen Bewegungen und wie verhindern wir deren zunehmende Kriminalisierung? Wie gewinnen wir ganz neue Bündnispartner aus dem wertkonservativen Bereich und wie gehen wir mit deren (teils berechtigten, teils zu überwindenden) Ängsten vor den Erscheinungsbildern der linken Szene um? ick habe aber keenen bock auf faltenröcke. d.sin Wie vermeiden wir Opportunismus und Sektierertum in den eigenen Reihen? usw. usw. Das alles läßt sich mit Recht und sehnsüchtig wünschen, aber nicht auf dem Silbertablett präsentieren. Solange das so ist, bin ich eher für einen schwachen Bundesvorstand, der wenigstens Offenheit garantiert, als für einen, der ständig im Schützengraben liegt. Das Wichtige ist, daß wir - frei nach Erich Kästner - begreifen: Das Krisenhafte bei dem Damoklesschwert über unserem Haupt liegt nicht in der Schärfe der beiden Klingen (hier Realo - dort Fundi), sondern in der Dünne des Fadens. Den Faden dicker und haltbarer zu machen heißt: Die grüne Partei muß lernen, ihren Gremien - dem Bundesvorstand wie den Fraktionen - im richtigen Augenblick Grenzen zu setzen und sie zu einer politischen Kultur zu verpflichten, die einer grünen Partei würdig ist. Dazu müssen wir unsere Fähigkeit trainieren, den Zeitpunkt zu erkennen und auch zu nutzen, wo es gilt, unsere politischen Strategien des gewaltfreien Widerstands und des bürgerlichen Ungehorsams auch gegenüber Gremien der eigenen Partei anzuwenden. Als da sind: Blockaden, Boykott, die vielfältigen Weisen des Auf–der–Matte– Stehen und die schöne Parole aus dem spanischen Bürgerkrieg: No passaran! Um es mit einem Beispiel zu erklären: In jener Situation, als der grünen Bundestagsfraktion nur noch übrig blieb, einen der beiden Häuptlinge, entweder Thomas Ebermann oder Otto Schily zu wählen, konnten wir nur noch etwas falsch machen. Wir waren objektiv in einer Erpressungssituation. Wählten wir Otto Schily, so hieß es „Zeter und Mordio!“ bei den Ökosozialisten (die ja nun partout nur diesen einen aus ihren Reihen wählenswürdig fanden) wegen der Unterdrückung der armen gebeutelten linken Minderheit. Wählten wir Thomas Ebermann, so holten wir uns - wie geschehen - den Protest der halben Republik auf den Hals, die findet, wir gehen mit wichtigen Leuten schäbig um. Selten habe ich mich so wütend und so ohnmächtig gefühlt. Damals aber wäre eine wunderbare Situation gewesen, um ein symbolisches Beispiel zu setzen und schlicht zu erklären: Wir tuns nicht mehr, wir verweigern uns als Mittäter/innen bei solchen Lösungen, die keine grünen Lösungen sein können. Bis uns was Besseres einfällt. Die politische Kultur der Grünen steht und fällt mit der Fähigkeit, solche Augenblicke zu erkennen und sie dann auch zu nutzen, sie steht und fällt mit der Fähigkeit, solche Verweigerungsstrategien auch parteiintern zu entwickeln. Und sie steht und fällt mit der Bereitschaft der Grünen–Mitglieder, den freiwerdenden, den freigeräumten Platz auch zu besetzen. Und mit der Zähigkeit, sich dafür alles an Wissen und Erfahrung zu holen, was nötig ist (und das ist nicht wenig). Nur so sehe ich eine Möglichkeit, unseren Hausaltar gelegentlich auch mit ein paar neuen Figuren auszustatten. Oder besser noch: von Zeit zu Zeit zu entrümpeln. Auch die kleinen Götter (und Göttinnen) der Grünen stürzen nämlich nicht, es sei denn, man hebe sie - behutsam, versteht sich! - von ihrem Sockel.