Italiens trügerische Instabilität

■ Das vermeintliche Chaos der ständigen Regierungswechsel täuscht / Aus Rom Werner Raith

Im Juni wird in Italien wieder gewählt. Das Chaos im Vorfeld scheint bezeichnend für die italienische Politik, und doch hat sie ihre eigene Logik. Da die große Christdemokratische Partei einen sozialistischen Ministerpr wieder weitermachen zu können. Italiens Staatspräsident Francesco Cossiga war „für niemanden zu sprechen“ - selbst als sich Ex–Ministerpräsident Bettino Craxi mit anderen Parteichefs am späten Montag nachmittag im Quirinalspalast anmeldete, bekam er einen Korb. „Er hat wohl das Telefon ausgehängt und sich verkrochen, mutmaßte Marco Pannella von der Radikalen Partei, einer der Nicht–Empfangenen. Cossiga war grimmig entschlossen, dem Druck der Christ demokraten nach Neuwahlen nachzukommen, koste es, was es wolle. Seinem Image als Marionette des Christdemokraten–Führers De Mita hat er wohl einen neuen Schub verschafft. „Er wird seiner Karikatur im Tango immer ähnlicher“, spottete ein Sozialist aus der abgewiesenen Delegation - in Italiens bissigstem Satireblatt wird der Präsident derzeit nur in Pantoffeln und Morgenrock dargestellt. Tatsächlich hätte Cossiga im Verwirrspiel der Parteien eine Schlüsselrolle spielen und durch die Verweigerug der Parlamentsauflösung die Streithähne zu einer neuen Regierung zwingen können. So aber hat er eine derartige Reihe von Absurditäten zugelassen, daß Italien einmal mehr den Stempel des Exotischen bekommt. Gipfelpunkt der Farce: Am Dienstag abend enthielten sich die Christdemokraten des vor einer Woche von Cossiga im Gewaltverfahren vereidigten Ministerpräsidenten Amintore Fanfani just bei der Abstimmung über den von ihnen selbst eingebrachten Vertrauensantrag. Grund: Sozialisten und kleinere Parteien stimmten für Fanfani, um ihn zumindest bis zum Juni im Amt zu halten und so die eingeleiteten Volksabstimmungen über Kernkraftwerke und Justizreform zu retten. Da die Christdemokraten aus Angst, ihr Mann müßte vielleicht wirklich regieren, sich der Stimme enthielten, wurde Fanfani durch eine Allianz von Kommunisten und Faschisten gekippt. Damit sind die Referenten erst einmal vom Tisch, und am 14.–15. Juni wird gewählt. DC–Führer De Mita hat sein Ziel erreicht. Trotzdem steht ihm das Wasser bis zum Hals, war ihm doch geschehen, was in Italien nur selten passiert: Er hatte den rechten Zeitpunkt übersehen, den ersten Sozialisten im Amt des Ministerpräsidenten zielgerichtet zu demonstrieren und zu stürzen. Als Craxi nach den Wahlen 1983 Kabinettschef einer Fünfparteienkoalition wurde, hatten die anderen Parteichefs an ein relativ leichtes Spiel geglaubt - der Mann war noch nie Minister gewesen, seine Partei zählte nur elf Prozent Wählerstimmen, das im Parlament vorgeschriebene grundsätzlich geheime Wahlverfahren gab „Heckenschützen“ genug Möglichkeiten, ihm Abstimmungsniederlagen beizubringen. Doch der erst 49jährige Newcomer richtete sich mit zunehmendem Vergüngen im „Palazzo Chigi“ ein und ließ sich auch durch nahezu 150 Abstimmungsniederlagen nicht aus der Fassung bringen. Als die DC Mitte 1986 ihren ersten Aufstand durchführte, zeigte ihnen Craxi, wo es langgeht: Er trat zurück, ließ den von De Mita ausgeschickten „Nachfolger“ Andreotti auflaufen und wurde wieder Ministerpräsident. Seither hatte so ziemlich alles, was die DC unternahm, schon den Charakter der Panik: Als Ende März Craxi die angeblich vereinbarte „Staffette“ - die Amtsübergabe an einen DC–Mann im Frühjahr - als „reine Erfindung“ abtat, stand De Mita endgültig blamiert da und speit seither Gift und Galle gegen den Sozialisten. Um sein Gesicht wiederzugewinnen, braucht er unbedingt einen großen Erfolg - und der geht nur über Neuwahlen. Das Problem: De Mita muß dem Volk allerhand erklären, was er gar nicht erklären kann. Z.B. warum er ausgerechnet den ersten Amtschef stürzt, der - nach 44 Nachkriegsregierungen - mehr als drei Jahre durchgehalten hat, unter dem die Inflation von 18 auf vier Prozent sank, das Bruttosozialprodukt von null auf drei Prozent stieg, Italien zur fünfgrößten Wirtschaftsmacht des Westens wurde. Oder: warum er die Referenden über die Kernenergie, also den direkten Ausdruck des Volkswillens, unbedingt vermeiden will und gar keinen Versuch gemacht hat, sich mit dem referendumsfreundlichen Craxi darüber zu einigen. Doch die größten Probleme werden auf die DC wohl erst nach den Wahlen zukommen. Craxi nämlich kann durchaus auf Zuwachs von links hoffen, da die Kommunisten - während der Regierungskrise wieder einmal offenbar - derzeit völlig programm– und führungslos dahintreiben; doch auch Teile der Unternehmer–Elite könnten sich dem PSI zuwenden. Für die DC jedoch gibt es kaum mehr ausschöpfbare Reservoirs. Und selbst wenn alles beim alten bleibt, eines ist gewiß: Ohne Craxi geht auf absehbare Zeit nichts mehr. Ob das der DC paßt oder nicht.