D O K U M E N T A T I O N Rathenow wurde die Ausbürgerung angedroht

■ Der Schriftsteller aus Berlin–Hauptstadt antwortet auf das Angebot einer West–Reise ohne Rückfahrschein Berlin (taz) - Noch vor wenigen Wochen leistete es sich das Neue Deutschland (ND), ein durchaus auch mit kritischen Fragen gespicktes Interview mit SED–Politbüromitglied Kurt Hager aus dem Stern nachzudrucken. Das Gespräch damals war in der ND–Fassung sogar ausführlicher als in der der Illustrierten. Eine dieser zusätzlichen Passagen behandelte eine Einschätzung Stefan Heyms, der vom Interviewe zitiert wurde mit der Feststellung, es gehe in der Kulturpolitik der DDR derzeit „außerordentlich liberal“ zu, und Künstler würden noch nicht einmal behelligt, wenn sie ohne Genehmigung im Westen publizieren. Hager hatte Heyms Einschätzung in seiner Antwort ausdrücklich begrüßt und dahingehend interpretiert, daß dieser denjenigen westlichen Publizisten eine Abfuhr erteilt, die ständig die Kulturpolitik der SED als starr und rückständig verleumden. Der Ost–Berliner Lutz Rathenow ist einer der Autoen, die seit Jahren im Westen auch ohne Genehmigung publizieren. Daß die SED–Kulturpolitik doch (noch) nicht ganz so liberal ist, zeigt ein Brief Rathenows. Erstmals ist ihm mit Ausbürgerung gedroht worden, wenn auch nur indirekt.

Am 20.4.1987, 13.30 Uhr, trug mir ein Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur (Wesener, HV Verlage und Buchhandel) folgende Erklä rung vor - ich zitiere sinngemäß, da ich sie nicht schriftlich bekam: Erstens sei es dem Ministerium nicht verborgen geblieben, daß ich öfter die Zoll– und Devisengesetze der DDR verletze. Wenn ich damit fortfahre, müßte ich damit rechnen, daß möglicherweise die zuständigen Organe einmal strafrechtliche Maßnahmen einleiten könnten. Zweitens verwies er auf die geltenden Bestimmungen für Reiseangelegenheiten und bekräftigte, daß das Ministerium nicht verpflichtet sei, Gründe für eine nichtgenehmigte Reise zu nennen. Drittens verwies er auf das Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR und auf jenen Paragraphen 10, laut dem die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft möglich sei. Über den Verlauf dieses Gesprächs war ich verblüfft. Ich hatte bei der Einladung ins Ministerium mit einer Reisegenehmigung nach Hannover gerechnet, wo am 11. Mai das Berlin–Buch von Harald Hauswald und mir auf einer Ausstellung in der Medienzentrale der Evangelischen Kirche vorgestellt werden soll. Ich fragte, ob ich diese Erklärung als Aufforderung zum Stellen eines Ausreiseantrages verstehen solle. Der Ministeriumsmitarbeiter antwortete, ich solle über alle drei Punkte nachdenken und mein Verhalten bezüglich des ersten ändern. Eine weitere Präzisierung auf meine Rückfragen erfolgte nicht. Aus meiner Sicht stellt dies erste Gespräch seit 17 Monaten im Ministerium für Kultur eine ernste Drohung dar. Zum ersten Mal seit vier Jahren werden mir von einer DDR–Behörde wieder ungesetzliche Handlungen unterstellt. Die Praxis, Reisen ohne Begründung abzulehnen, soll offensichtlich fortgesetzt werden. Den dritten Punkt betrachte ich als indirekte Aufforderung, aus der DDR auszureisen. Diese mir gegenüber erstmalig praktizierte Art der Aufforderung, über die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft nachzudenken, empfinde ich als empörend. Sie widerspricht allen Beteuerungen der letzten Jahre, daß man Schriftsteller nicht weiter aus der DDR hinausekeln wolle. Die Drohung mit den Zoll– und Devisengesetzen richtet sich offenbar gegen das Einführen und Verschenken meiner nur im Westen gedruckten Bücher in der DDR. Ich lasse mir vom Piper–Verlag alles Honorar in eigenen Büchern auszahlen. Daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht, ich sehe darin auch nichts Ungesetzliches. Die Verwarnung jetzt hat offensichtlich mit der großen Resonanz auf das Buch „Ostberlin - die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern“ zu tun. Auch der Fotograf Harald Hauswald bekam in den letzten Wochen mehrfach Schwierigkeiten. Unser Lektor im Piper–Verlag darf neuerdings nicht mehr in die DDR einreisen. Dies alles kurz vor dem ersten Jahrestag der Unterzeichnung des Kulturabkommens zwischen den beiden deutschen Staaten. Der Vorgang verweist für mich wieder auf prinzipielle Probleme. Wie weit werden Geist und zahlreiche Formulierungen des Abkommens von bestimmten Gesetzen der DDR torpediert (Zollbestimmungen, Bibliotheksvorschriften)? Inwieweit kann man einen staatlichen Kulturaustausch fördern, wenn daneben ein privater nach wie vor kriminalisierbar bleibt? Lutz Rathenow