Märtyrerin für alle Gelegenheiten

■ Unterschiedliche Interpretationen zur Seligsprechung von Edith Stein / Zur Schuld an der Hexenverfolgung schweigt die Katholische Kirche jedoch eisern / Aus Köln Maria Neef–Uthoff

Als Märtyrerin, die für den christlichen Glauben sterben mußte, wurde die Konvertitin Edith Stein gestern vom Papst seliggesprochen. Tatsächlich aber wurde Edith Stein wegen ihrer jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet. Erinnerungslücken hat die Katholische Kirche aber nicht nur beim Thema Judenverfolgung. Vor 500 Jahren erschien der „Hexenhammer“, die Grundlage der vom Papst gebilligten und von der Inquisit

Er könnte auch ein römischer Feldherr sein, so wie er in seinem glasüberdachten offenen Wagen langsam im Stadion die Ehrenrunde dreht und sich selbst beklatscht. Aber er hat nichts besiegt, noch nicht mal den Teufel. Von den 70.000 Plätzen im Kölner Stadium sind 60.000 besetzt. Die Leute schwenken Fahnen und Taschentücher, die Tribüne ist als Altar hergerichtet und ringsum verziert mit Fahnen und Blumen in den Papstfarben Gelb und Weiß. Hier, wo sonst Fußballspiele die Stimmung mit aufwendigem Spektakel aufheizen, ist jetzt alles „auf heilig“ gemacht. Orgel und Chor „Gloria in Excelsis Deo“ üben schon Stunden vorher die Lieder ein. Die Leuten setzen sich auf ihre Plätze, ein Mönch summt nebenbei und hört nicht mehr auf. Die Ehrentribüne füllt sich. Der nordrhein–westfälische Ministerpräsident Johannes Rau kriegt den geringsten Applaus. Sehr viel mehr kriegen Rita Süssmuth und Helmut Kohl. Das Publikum ist mit Bussen aus der Umgebung hergefahren worden. „Es könnt langsam anfangen“, meint die Frau neben mir, „sonst wird es so langweilig.“ Die Polizisten stehen in Reih und Glied und sehen aus der Ferne aus wie kleine Zierbäume. Dieses Stadion ist extrem unfeierlich, außerdem ist es kalt und ein Wind fährt unter die Röcke der Besucherinnen, die ungefähr fünfmal so viel sind wie die männlichen Besu cher. Mit fünf Bussen ist der Karmeliterorden aus Echt in Holland gekommen, um bei der Seligsprechung der konvertierten Jüdin und Karmeliterin Edith Stein dabei zu sein. Eine, die Edith Stein damals gekannt hat, berichtet aus „erster Hand“. Wie wunderbar Edith Stein ihr Kreuz getragen habe, wie gelassen und ruhig und mit „der Weisheit des Leidens“ sie auch die „Verfolgung geduldig ertragen“ habe, „den Tod angenommen, weil sie wußte, daß er besiegt ist“. So eingestimmt konnte endlich die Eucharistiefeier mit der Seligsprechung beginnen. Zunächst wurde die Schuldfrage dahingehend geklärt, daß der Papst jetzt mit Oberhirtenstab sich mit uns besann und bekannte, daß wir sündige Menschen sind. Daraufhin sangen alle: Bekehre uns, vergib die Sünde, schenke Herr, uns neu Dein Erbarmen. In einem Kehrvers wurde nochmal betont, „der Schatten unermeßlicher Sünde und Schuld lastet auf der Geschichte unseres deutschen Volkes“. Darauf alle: Bekehre uns... usw. So eine Weile hin– und herbekehrt sagte der Papst nochmal, daß Gott uns die Sünden nachlassen soll. Und damit basta. Kardinal Höffner hatte es vorher ausgesprochen: Die Märtyrerin Edith Stein sei die Fürsprecherin dieser Versöhnung von Juden und Deutschen. Das heißt, sie soll zu Gott gehen, damit er endlich die Schuld vom deutschen Volk wegnimmt. Und, ganz im Sinne vieler Vergessenwoller, eine neue Zeit anfangen kann. Jetzt haben die Deutschen offensichtlich jemanden, von der sie sicher sein wollen, daß sie ihnen nichts nachträgt. Auch wenn der Papst eine schöne Stimme hat, was er in seiner nachfolgenden Predigt sagte, klang nach Rechtfertigung und Unaufrichtigkeit. Tenor war, daß Edith Stein die „große Tochter des ausgesuchten Volkes Israels“ war, „blutsverwandt mit Christen“ als „Christusnachfolgerin“ in Auschwitz ihrem Volk „einen Dienst erwiesen“ habe. Was heißt das um Gottes willen? Warum ausgerechnet sie und nicht die anderen Christen. Das wird nicht gesagt. „Wir verneigen uns heute mit der ganzen Kirche vor dieser großen Frau“, sagt der Papst dann, Edith Stein habe die Wahrheit gesucht und Gott gefunden, und „sie ging für ihr Volk den Weg in die Vernichtung“. Ja, er sagt „für“ ihr Volk. Sie sei die Wiedergutmachung, sagt er gleich darauf. Alles klatscht und keiner pfeift. Viel Krach und Pfeifen gabs dafür am Abend vorher, als die Kölner Frauen ihre Walpurgisnacht feierten. Etwa 1.000 Frauen veranstalteten einen Riesenkrach während einer Demo durch die Innenstadt. „Aufruhr, Widerstand, keine Macht in Männerhand“ war die schönste Parole, die die Verfasserin richtig wild nostalgisch machte. Danach kümmerten sich die Kölner allerdings nur noch trinkmäßig um den ersten Mai.