Sloweniens Arbeiter nützen ihren Mythos aus

■ Trotz gegenteiliger Behauptungen der jugoslawischen Regierung gehen die Streiks der Arbeiter weiter / Keine Hilfe von Gewerkschaften / Es gibt weder Streikkomitees noch Solidarität aus anderen Betrieben / Offizielle warten ab und drohen mit Repressalien

Aus Labin H. Hofwiler

Wer kennt sie nicht, die Bergleute von Labin? Jedes Kind lernt in Jugoslawien vom legendären heldenhaften Aufstand im Jahre 1921 - von der ersten Räterepublik auf dem Balkan. Sie hielt sich zwar nur eine Woche und wurde von königstreuen Soldaten blutig niedergeschlagen - aber der Pathos vom „freien Sowjet“ überlebte und erlebt nun eine Renaissance. Heute treibt diese Tradition den Parteibonzen in Belgrad den Schweiß auf die Stirn. Die Kumpel von Labin machen wieder Schlagzeilen. Auf den Tag genau 66 Jahre nach Ausrufung der Labinska Republika traten sie am 8. April in den Ausstand. Ihre Forderungen: 100prozentige Lohnerhöhungen und Rausschmiß des Fabrikdirektors und des Betriebsleiters. Letzterer wurde schon gefeuert, die Lohnforderungen beantworteten die Offiziellen mit einem 18prozentigen Angebot. Das sei doch mehr als genug, schreibt die Tagespresse und warnt, sollten die Kumpel das „faire Angebot“ nicht annehmen, werde man zu „allen Mitteln“ greifen. Die Kumpel antworteten am 1. Mai auf dieses Ultimatum mit der Erhöhung ihrer Forderungen auf 150 Prozent. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, erzählt ein Bergmann, „und doof sind wir auch nicht. Einer unserer Direktoren mußte seinen Hut nehmen. Doch was geschah dann? Die Partei gab ihm einen neuen Direktoren–Posten in einem Lebensmittelkombinat. So einfach geht das. Aber sie haben sich verrechnet, so kriegen sie vor uns keine Ruhe!“ Aber eine 150prozentige Lohnerhöhung, wende ich ein, sei doch wohl übertrieben. Mechjudin schnauzt mich an: „Du willst mir sagen, was ich fordern darf? Das sag unserem Ministerpräsidenten Mikolic. Er verkündet über Nacht 100prozentige Preiserhöhungen für Brot und Milch. Dieses Großmaul, alle Mittel will er einsetzen, um bei uns Ruhe und Ordnung zu bewahren, selbst mit dem Militär. Soll er doch mit seinen Panzern hier einrücken!“ Seit schon fast vier Wochen halten die Kumpel aus. Streigkeld bekommen sie nicht und von Solidarität aus anderen Betrieben ist nichts zu spüren. Nicht einmal ein Streikkomitee hat sich gebildet. „Solch ein Streik wäre bei uns im Süden gleich als nationalistische Aktion ausgelegt worden, hunderte von uns Kumpeln wären im Knast gelandet und in den anderen Republiken hätte es geheißen: Seht die faulen Albaner, streiken, um unser System zu zerstören!“, wendet ein Arbeiter aus der von Albanern bewohnten Provinz Kosovo ein. „Wer würde uns hier un terstützen, wenn unter uns nicht Slowenen und Kroaten wären?“ In der Tat sind es auch die nationalen Spannungen im Vielvölkerstaat, die bisher eine einheitliche Streikfront gegen den in den letzten Monaten rapide gefallenen Lebensstandard verhinderten. Dutzende von Fabriken streikten in den letzten Wochen, alle jedoch für sich. Von den Gewerkschaften können die Arbeiter keine Hilfe erwarten. Nach dem Gesetz sollen „die Vertreter der Arbeiterklasse“ sogar darauf achten, daß es nicht zu Streiks kommt. „Leute, zeigt Verständnis für die Sparpolitik der Regierung“, sagen sie zu uns. „Doch sie sollen zum Teufel gehen, wir wollen eine Räterepublik“, erklärt Mechjudin. Das Mißtrauen gegen das „Selbstverwaltungssytem“ sitzt tief. Die Mitbestimmung der Arbeiter im Betrieb erweist sich einmal mehr als bloße Rhetorik. Bei verschiedenen Befragungen gaben 58 Prozent der Arbeiter an, sie besäßen in ihren „selbstverwalteten“ Betrieben überhaupt keinen Einfluß auf Entscheidung . Bei politischen Abstimmungen würden doch nur „die Beschlüsse und Interessen von engen, einflußreichen und mächtigen gesellschaftlichen Gruppen durchgesetzt“, meinte die Hälte der Interviewten. Ähnlich gespannt wie das Verhältnis der Arbeiter zu „ihrem“ Gesellschaftssystem ist auch der Kontakt zwischen Führung und Basis. Nur dem Pathos um den legendären Aufstand ist es zu verdanken, daß die Labiner Arbeiter weiter streiken können. Die politisch Verantwortlichen warten ab und haben jegliche Lohnauszahlung blockiert.