Trick 17 heißt auf amerikanisch „Chapter 11“

■ Die Konkursregeln in den USA bieten Unternehmen in der Pleite–Falle einen lukrativen Ausweg / Was als Schutz für geprellte Gläubiger gedacht war, funktioniert auch als Trick gegen Regreß–Ansprüche und Gewerkschaftsforderungen / Dreister Einsatz gegen geschädigte Konsumenten stärkt die Kritiker–Front

Aus Washington Stefan Schaaf

Als der Pennzoil–Vorsitzende J. Hugh Liedtke am 12. April zu einer sonntäglichen Verhandlungsrunde mit Texaco–Präsident James Kinnear in New York eintraf, hatte dieser eine böse Überraschung für ihn parat: Texaco habe soeben, entsprechend Kapitel 11 der US–Insolvenz–Gesetze Vergleich angemeldet, um Schutz vor weiteren Ansprüchen zu suchen. Liedtke blieb nicht viel anderes übrig als wieder abzuziehen und einen Termin mit seinen Anwälten zu vereinbaren. Eigentlich hatte er gehofft, an jenem denkwürdigen Tag einen milliardenschweren Rechtsstreit mit dem Ölmulti gütlich beizulegen, der die beiden Firmen seit Februar 1984 beschäftigt hatte. Weil Texaco Pennzoil beim Versuch zuvorgekommen war, den Ölkonzern Getty aufzukaufen, hatte Pennzoil Klage eingereicht und 7,5 Milliarden Dollar Schadensersatz und eine Strafe in gleicher Höhe gefordert. Gerichte in Texas hatten der Klage zunächst rechtgegeben und von Texaco verlangt, vor einer Berufung elf Milliarden Dollar als Sicherheit zu hinterlegen. Ein Bundesrichter in New York warf Anfang 1986 das Urteil um, doch in der nächsten Instanz, im Februar 1987, reduzierte ein Geschworenengericht in Texas die Kautionssumme lediglich auf zwei Milliarden. Am 6. April setzte der Oberste Gerichtshof in Washington das ursprüngliche Urteil wieder in Kraft und damit Texacos Trudelflug in den Bankrott in Bewegung. Der sonntägliche Treff von Pennzoil–Chef Liedtke und Texaco–Präsident Kinnear sollte eigentlich dem Zweck dienen, eine gütliche Einigung zwischen den beiden Unternehmen herbeizuführen. Man war sich schon nähergekommen. Texaco war bereit, Pennzoil für den entgangenen Getty–Deal etwa zwei Milliarden Dollar zu zahlen, Pennzoil seinerseits wäre mit einer Summe zwischen drei und fünf Milliarden zufrieden gewesen. Angesichts der ursprünglichen Streitsache wäre dies eine fürstliche Abfindung gewesen - als Texaco dem kleineren Konkurrenten beim Aufkauf von Getty zuvorkam, entstand Pennzoil ein Schaden von allenfalls einigen hundert Millionen Dollar. So hoch wäre der Unterschied zwischen dem Kaufpreis und dem Wert des 43prozentigen Getty–Anteils gewesen, den Pennzoil erwerben wollte. Es bleibt der Weisheit eines texanischen Richters überlassen, warum ein Aktienpaket, für das Texaco 4,3 Milliarden Dollar bezahlt hatte, 7,5 Milliarden Entschädigung wert sein solle. Einstweilen reiben sich die Anwälte die Hände. Texaco darf etwa eine Million Dollar pro Woche für sein hochkarätiges Juristen–Team und sonstige Gerichtskosten hinblättern, und noch lange ist kein Ende für diesen Rechtsstreit in Sicht. Texaco hat den Konflikt durch seine Bankrott–Deklaration allerdings auf eine völlig neue Ebene gebracht. Die US–Insolvenzgesetze machen dies möglich, denn sie gehen von der Prämisse aus, daß ein Unternehmen fähig sein muß, angesichts bedrohlicher Forderungen von außen die Notbremse zu ziehen und nach einer Phase kontrollierter Reorganisie rung wieder am Marktgeschehen teilzunehmen. Dieses Vorgehen bringt außerdem mit sich, daß alle Gläubiger gleichbehandelt werden und nicht die letzten völlig leer ausgehen. Texaco war am 12. April jedoch keineswegs zahlungsunfähig, sondern verfügte noch über drei Milliarden Dollar barer oder sofortig verflüssigbarer Reserven. Zunächst hat der Konzern von seinem Insolvenz–Status nur Vorteile: er muß die von den Richtern geforderte Kaution nicht stellen, zahlt keine Zinsen mehr an seine Gläubiger und hat Zeit gewonnen, bis der Rechtsstreit seinen Weg durch weitere Instanzen genommen hat. Allerdings stehen seine weiteren unternehmerischen Aktivitäten, sofern sie über das unmittelbar Notwendige hinausgehen, unter der Kontrolle eines Gläubigerkomitees, dessen Zusammensetzung in diesen Tagen bekanntgegeben wird. Pennzoil als größter Gläubiger hofft auf einen Logenplatz in diesem Gremium von Wachhunden und auf intime Einblicke in Geschäftsinterna eines Konkurrenten. Diese strikte Überwachung bringt für Texaco eigentlich nur einen Nachteil: alle geschäftlichen Entscheidungen dauern länger - für ein Unternehmen im Ölsektor ein schweres Handicap. Texaco ist nicht die erste, wenn auch die bisher größte US–Firma, die „Chapter Eleven“ als Notbremse eingesetzt hat. Ernie Dubester aus der Rechtsabteilung des US–Gewerkschaftsdachverbandes AFL–CIO weiß ein Lied von den Mißbräuchen der Insolvenzgesetze zu singen. Zahlreiche Unternehmen haben den Bankrottstatus einer Einhaltung von Verpflichtungen gegenüber ihren Belegschaften vorgezogen. „Zur Zeit wird ein Rechtsstreit gegen den Stahl– und Flugzeugkonzern LTV geführt, der sich unter Berufung auf Chapter 11 sämtlicher Pensionszahlungen an ehemalige Mitarbeiter seiner Stahl–Abteilung entziehen will. 75.000 Kollegen wären davon betroffen“, sagt Dubester. Auch Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Firmen, sogar Tarifverträge, verlieren mit der Erklärung der Insolvenz ihre Gültigkeit. Mehrere Großfirmen, darunter der Airline– Gigant Texas Air, gingen in den Bankrott, um den Arbeitnehmervertretern eine lange Nase zu zeigen und sie anschließend zur Aushandlung neuer, für die Arbeitnehmer wesentlich ungünstigerer Tarifabkommen an den Verhandlungstisch zu bitten. Fälle wie der jüngst eingereichte Reorganisationsplan der pharmazeutischen Firma A. H. Robins Co. könnten die Chancen strengerer Bestimmungen erhöhen, geht es doch hier um den in den USA durchaus ernst genommenen Verbraucherschutz. A. H. Robins ist der Produzent des sogenannten „Dalkon Shield“, eines empfängnisverhütenden Pessars, durch den eine große Zahl von Frauen schwere gesundheitliche Schäden davontrug. Robins wurde zu Schadensersatzzahlungen an bis zu 330.000 Frauen verurteilt und reichte daraufhin den Bankrott ein. Von den klagenden Frauen wurde der Reorganisationsplan, der eine Höchstsumme von 1,75 Milliarden Dollar für Entschädigungen einschließt, als unzureichend zurückgewiesen, ein Anwalt der Klägerinnen bezeichnete ihn als „Trick“. Schon 1982 hatte eine andere Firma, Manville Corp., nach Schadensersatzklagen von Asbestopfern gleichfalls Konkurs angemeldet. Immerhin konnten die Gewerkschaften im Gefolge der Texas Air–Pleite strengere Gesetze durchsetzen. Gegenwärtig liegt dem Kongreß eine weitere Vorlage vor, um die Regeln noch etwas mehr zu verschärfen. Der Texaco–Schachzug zeigt aber, daß auf die Trick–Kiste „Chapter 11“ noch kein Deckel paßt.