Streiks bedrängen Guatemalas Regierung

■ Seit dem 27. April streiken die Staatsangestellten in dem zentralamerikanischen Land / Bauern ohne Land drängen auf Übereignung der ihnen versprochenen Landgüter / Auch die Guerilla wird wieder aktiv / In zwei Monaten endet die von ihr angebotene Frist zum Dialog

Aus Guatemala Leo Gabriel

Guatemala (taz) - Vor einer schweren Belastungsprobe steht der christdemokratische Präsident Guatemalas, Vinicio Cerezo. Nach Arbeitsniederlegungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen streiken seit dem 27. April die 170.000 Staatsangestellten in Guatemala. Sie kämpfen für eine Lohnerhöhung von 100 quetzales, das sind etwa 40 US–Dollar, im Monat. Ein Gewerkschaftsführer enthüllte, daß Vinicio Cerezo kürzlich für 700.000 quetzales im Namen seiner Frau ein Haus in der ehemaligen kolonialen Hauptstadt Antigua Guatemala, einem beliebten Touristenzentrum, erstanden hat. Die Parlamentsabgeordneten haben sich einstimmig die Gehälter um 2.000 quetzales (ca. 800 Dollar) erhöht. Beides förderte die Entschlossenheit der über 170.000 Staatsangestellten Guatemalas, für besseren Lohn zu kämpfen. Cerezo selbst hat eine Lohnerhöhung für sie bisher mit der Begründung abgelehnt, diese im Budget nicht vorgesehenen Gelder würden dann jenen Projekten fehlen, die zugunsten viel ärmerer Schichten vorgesehen sind. Er droht den aufmüpfigen Staatsangestellten mit fristloser Entlassung. Vor deren Ausstand hatten die Arbeiter des staatlichen Elektrizitätswerkes „INE“ die Entlassung ihres Generaldirektors durchgesetzt, der eine private Elektrogroßhandelsfirma betrieben und sich dadurch saftige Einnahmen zugeschanzt hatte. „Die Demokratie gehört nicht nur dem Präsidenten, den Beamten und den Abgeordneten, sie gehört dem ganzen Volk,“ stand auf einem Spruchband der Arbeiter des Elektrizitätswerks, die vor zwei Wochen Erfolg hatten. Campesinos vor dem Nationalpalast Auch die Demonstration von rund 3.000 landlosen Bauern aus der „Pro–Land–Bewegung“ um den streitbaren Volkspriester Andres Giron, die am 23. April in die Hauptstadt gekommen waren, um den Präsidenten zur Übergabe von drei ihnen seit langem versprochenen Landgütern zu bewegen, waren Ausdruck der wachsenden Unruhe im Land. Eine Nacht lang froren die Campesinos auf dem kalten Asphaltboden vor dem Nationalpalast, bevor ihnen Präsident Cerezo wenigstens eines der drei Landgüter zusagte, allerdings begleitet von der Drohung, wenn sie die mit 5 Millionen quetzales (ca. 2 Millionen Dollar) bewertete Liegenschaft nicht akzeptierten, würde er sie an andere Bedürftige verschenken. Eine weitere Finca wurde einer im nordöstlichen Department San Marcos unter dem Namen des indianischen Freiheitskämpfers Tecun Uman auftretenden Bauernbewegung zugesagt. Weitere zehn Landgüter sind noch für dieses Jahr den landlosen Bauern der populären „Pro–tierra– Bewegung“ des Padre Giron zugesagt. Aber selbst wenn sie den Campesinos übergeben werden, reichen sie bei weitem nicht aus, um den Landhunger der armen Landbevölkerung zu befriedigen. 61,6 Prozent der gualtemaltekischen Landbevölkerung müssen 25 Prozent des bebaubaren Landes teilen. Nachdem jedoch der gualtemaltekische Großgrundbesitzerverband durch massiven Druck auf die Regierung bereits das Wort „Agrarreform“ zu einem politischen Tabu erster Ordnung gemacht hat, versucht sich die Staatsmacht mit Kredithilfen, einigen Landschenkungen und einem bisher Theorie gebliebenen, vagen „nationalen Entwicklungsplan“ aus der Affäre zu ziehen und der wachsenden Unruhe auf dem Land Herr zu werden. Im zum Großteil von den Nachfahren der Mayas bevölkerten Hochland hat sich diese Unruhe in letzter Zeit auch wieder in den militärischen Aktionen der Guerilla niedergeschlagen. In der Karwoche wurden 5.000 Soldaten in die Gegend um den Atitlansee, 250 km nördlich der Hauptstadt, geschickt, um eines gut koordinierten Angriffs der gualtemaltekischen Befreiungsbewegung „ORPA“ (Organisation des bewaffneten Kampfes) auf Militärposten, deren nachrückende Verstärkung an verschiedenen Stellen in Hinterhalte geriet, Herr zu werden. Die „URNG“ (Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas) der Dachverband der insgesamt vier im Land operierenden Guerillaorganisationen, hatte Vinicio Cerezo zu seinem Amtsantritt im Januar 1986 eine 18monatige Frist gesetzt, um den Dialog mit den Aufständischen zu suchen. Sie endet in zwei Monaten. Doch dieser Dialog scheitert bisher an der Ablehnung der Armee, in der sich mit Oberst Gramajo als neuem Verteidigungsminister ein intelligenter Hardliner durchgesetzt hat. So antwortet Cerezo auf die Forderung der Linken nach Bestrafung der Kriegsverbrecher in der Armee mit der Gegenforderung an die Guerilla, ihre Waffen niederzulegen und sich in die „demokratischen Institutionen“ zu integrieren. Der Präsident ist trotz des politischen Unwetters, das sich derzeit abzeichnet, noch zu Scherzen aufgelegt: Auf die Behauptung von Erzbischof Prosper Penados, er kontrolliere nur 25 Prozent der Staatsmacht, antwortete Cerezo launig: „Das stimmt nicht ... es sind schon 30 Prozent.“ Siehe auch untenstehendes Interview