Nach Karamehs Rücktritt gerät Gemayel verstärkt unter Druck

■ Der abgetretene libanesische Ministerpräsident beschuldigt die christlichen Parteien, auf Israel statt auf die nationale Einheit zu sehen / Libanesische Währung fällt weiter

Aus Beirut Petra Groll

Mit seinem überraschenden Rücktritt hat Ministerpräsident Rashid Karameh am Montag dem 18monatigen Zustand der libanesischen Regierungslosigkeit ein offizielles Etikett verliehen. Seit Staatspräsident Amin Gemayel sich im Januar 1986 geweigert hatte, einen unter syrischer Regie ausgearbeiteten politischen Friedensplan zu akzeptieren, hatten die Minister der moslemischen Opposition innerhalb der Regierung mit dem 66jährigen Karameh an der Spitze den Staatschef boykottiert. Kabinettssitzungen fanden nicht mehr statt. Karamehs Regierung der „nationalen Einheit“, mit fünf christlichen und fünf moslemischen Ministern, war im April 1984 gebildet worden. Voraussetzung dafür war, daß Staatspräsident Gemayel ein von den moslemischen und prosyrischen Parteien Libanons scharf kritisiertes „Sicherheitsabkommen“ mit Israel aufgekündigt hatte. Karameh, sunnitischer Berufspolitiker aus dem nordlibanesischen Tripoli, war 1954 im Alter von 34 Jahren zum ersten Mal Premierminister geworden. Allein in seiner neunten und letzten Amtsperiode hatte der „Effendi“ dreimal mit Rücktritt gedroht: Im April 1985, als in Westbeirut blutige Straßenkämpfe zwischen der Schiitenmiliz Amal und der nasseristischen „unabhängigen“ Miliz Morabitoun tobten, im Juli 1986, als die Wirtschaftskrise im Libanon einen ersten Höhepunkt erreichte, und im Februar 1987, als wiederum in Westbeirut während des sogenannten „Lagerkrieges“ schwere Gefechte zwischen Amal, den Milizen der drusischen „progressiven sozialistischen Partei“ und der libanesischen KP ausbrachen, die schließlich den Einmarsch der 10.000 Mann starken syrischen „Sicherheitstruppen“ zur Folge hatten. Seine Amtsaufgabe vom Montag bezeichnete Karameh als „entschieden und endgültig“. Ein Staatschef nicht überreichen. „Ich habe dem Volk meinen Rücktritt erklärt, das reicht“, kommentierte der grauhaarige Junggeselle mit einem der für ihn typischen markigen Sprüche. Erste Stellungnahmen aus dem christlichen wie moslemischen Lager bedenken ihn weitestgehend mit Verständnis und Wohlwollen. „In diesem Land geht alles gegen die Interessen des Volkes“, hatte Karameh erklärt. Er beschuldigte die christlich–maronitischen Parteien, sich auf Israel anstatt auf die nationale Einheit Libanons zu beziehen: „In Ostbeirut sind die Spitzenpolitiker Israels ein gewohnter Anblick geworden, und Delegationen der forces libanaises verhandeln in Israel.“ Die Reden verschiedener Spit zenpolitiker zum 1. Mai hatten offensichtlich den Ausschlag für den Rücktritt Karamehs gegeben. Karim Pakradouni, Spitzenpolitiker der christlichen Falange, hatte am 1. Mai drei Forderungen seiner Partei deutlich gemacht: den Abzug aller fremden Truppen aus dem Libanon, die Stationierung internationaler Truppen an den Landesgrenzen und politische Neutralität. Alle drei Forderungen bedeuten eine absolute Konfrontation mit den politischen Ideen der prosyrischen moslemischen Parteien des Landes. Aber auch die 1. Mai–Rede des Drusenführers und Chefs der PSP, Walid Junblatt, eines traditionellen Verbündeten Karamehs, hatte den Regierungschef in Rage gebracht. Junblatt hatte die drei höchsten Politiker Libanons, den moronitischen Staatschef Gemayel, den sunnitischen Regierungschef Karameh und den schiitischen Parlamentssprecher Husseini als „Lügner und Killer“ beschimpft, als er sich am 1. Mai in aller Öffentlichkeit über eine Budget–Erhöhung für die libanesische Armee aufregte, die von den drei Politikern als Ausgleich für den Wertverlust der libanesischen Landeswährung bewilligt worden war. Als möglicher Nachfolger Karamehs, der entsprechend der umstrittenen Verfassung von 1943 Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft sein muß, wurde am Dienstag gerüchteweise der Großmufti Sheikh Hassan Khaled gehandelt. Ob Karamehs Rücktritt endgültig ist oder ein taktischer Zug, um Gemayel zu einem Gipfeltreffen mit dem syrischen Staatschef Assad zu bewegen, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Von Reisen moslemischer Oppositionspolitiker in die syrische Hauptstadt Damaskus wurde bereits am Montag abend gesprochen. Politische Beobachter im Ostbeiruter Regierungslager spekulierten jedoch über eine Fortsetzung der Regierungskrise bis zum Herbst 1988, wenn in Libanon Präsidentschaftswahlen angesagt sind. In den Beiruter Wechselstuben wurde am Dienstag vormittag ein weiterer Kursverfall der libanesischen Lira verzeichnet, deutliches Anzeichen, daß vielleicht die politische Krise Libanons kaum noch zu vertiefen ist, die ökonomische Folgekrise aber noch längst nicht die Talsohle erreicht hat.