Alles klar auf der Britannia

■ Die Regierung Thatcher geht mit einem Vorsprung in den Meinungsumfragen in die Endphase des Wahlkampfes / Labour–Linke hoffen auf taktisches Wahlverhalten / Wahlen voraussichtlich am 11. Juni

Aus London Rolf Paasch

Rund 30 Millionen Briten werden am kommenden Donnerstag zu den Urnen gerufen, und mit Spannung wartet ganz Großbritannien auf den Ausgang dieser Gemeindewahlen. Allerdings beschäftigt die Gemüter weniger die Frage, wer zu den 12.000 neuen Gemeinderäten in 369 Distrikten Englands und Wales - London und Schottland nehmen nicht teil - gehören wird. Vielmehr wird es vom Ergebnis der Gemeindewahlen abhängen, ob Premierministerin Margaret Thatcher im Juni wählen läßt oder nicht. Seit mehreren Wochen sagen Meinungsforscher einen klaren Sieg der Konservativen bei den allgemeinen Wahlen voraus, doch Margaret Thatcher, die über den Termin bestimmen kann, zögert. Nach Ansicht von Beobachtern will sie diese allerletzte, hundertprozentige „Meinungsumfrage“ abwarten, bevor sie sich endgültig festlegt. Es ist nicht das erste Mal, daß Gemeindewahlen zu „Kampfabstimmungen“ für allgemeine Wahlen gemacht werden. Zuletzt wurde diese Methode bei den Wahlen am 2. Mai vor vier Jahren angewandt. „Deprimiert von Meinungsumfragen? TV 87. Taktisches Wählen“, bietet da eine politische Kampagne als Allheilmittel zur Genesung vom achtjährigen Thatcher–Befall an. Seitdem die Realisten in der oppositionellen Labour–Partei begriffen haben, daß die gegenwärtigen Meinungsumfragen kein Tory–Scherz, sondern der bittere Ernst der Wähler sind, kommen die mutigsten der Linken langsam aus den Löchern des traditionellen Zweiparteiensystems gekrochen und schlagen eine wahrhaft revolutionäre Reform vor: zuerst die Reform des anti quierten Mehrheitswahlrechts, das zu ungeheuren Verzerrungen der prozentualen Stimmanteile führt, um dann die dringend notwendigen Reformen des politischen Systems nachschieben zu können. „Labour kann die nächsten Wahlen nicht aus eigener Kraft gewinnen“, schreibt der bekannte Historiker und Eurokommunist Eric Hobsbawm in der jüngsten Ausgabe von Marxism today. Er schlägt die Bündelung der Anti–Thatcher–Stimmen vor. In für sie nicht zu gewinnenden Wahlkreisen sollen Labour–Anhänger die Kandidatur der sozial– liberalen Allianz wählen und umgekehrt. Und Stuart Weir, der in der Parteiführung eh unbeliebte Herausgeber der Labour–Postille New Socialism will die Einführung des Verhältniswahlrechts zumindest mit ins Parteiprogramm aufgenommen wissen. So könne man die Wähler wenigstens indirekt auf die Möglichkeit des taktischen Wahlverhaltens hinweisen. Wegen dieser Häresie droht Weir jetzt der Rausschmiß. Angesichts der erschreckenden Aussicht auf einen dritten Wahlsieg der Tories mit einer Parlamentsmehrheit von um die 100 (von 650) Sitzen wird die Führung der Labour Partei um Neil Kinnock langsam nervös. Mit tatkräftiger Hilfe der Boulevardpresse beginnen in der Labour Partei wieder die im gegnerischen Lager so beliebten Flügelkämpfe. Diese hatten schon 1983 zur damals katastrophalen Wahlniederlage geführt. Eine schwarze und radikale Parlamentskandidatin, die unlängst auch in der eigenen Partei „Rassismus“ entdeckte - was bei der Weigerung, den Schwarzen eigene Parteisektionen zuzugestehen, nicht schwierig ist -, sah sich plötzlich durch einen moderaten Asiaten ersetzt. Als Folge solcher Kurzschlußhandlungen des Parteivorstands bereitet man sich auf der harten Linken bereits auf das Hin und Her von Anschuldigungen und Gegen–Anschuldigungen nach der Niederlage vor. Dabei schien doch unter der Führung des charmanten Walisers Neil alles so gut zu laufen. Die tiefrote Flagge des Sozialismus wurde eingerollt und durch das Symbol englischer Mäßigung, die rote Rose, ersetzt. Die einseitigen nuklearen Abrüstungsvorschläge wurden etwas abgeschliffen und durch konventionelle Aufrüstungpläne aufgepeppelt. Und dennoch, die Partei kommt über das ihr treu ergebene Rest–Drittel gegen die von Frau Thatcher fest etablierten Zwei– Drittel–Gesellschaft nicht hinaus. Die Abweichler von 1981, die sich anschließend zur sozial–liberalen Allianz formiert haben, scheinen mit ihrer Alternative der Mittelmäßigkeit das Zweiparteiensystem endgültig aufgebrochen zu haben. Im Unterhaus bekämen sie mit ihrem Stimmanteil von um die 25 Prozent zwar nur 30 bis 40 Sitze, könnten damit aber unter Umständen zum Boten für Labours Niederlage und zum Architekten eines dritten Thatcher–Sieges werden. Und die Konservativen selbst? Wohl noch nie hat es in Großbritannien eine Regierung gegeben, die den in die flexible Legislaturperiode eingebauten Vorteil für die Machthaber so effektiv ausgenutzt hat wie Maggies Tory– Truppe. Nach monatelangen Vorbereitungen scheint nun alles für die Inszenierung des Wahlspektakels im Juni bereit: Schatzkanzler Nigel Lawson liefert das Brot - in Form von Steuererleichterungen - und die Tory–Presse sorgt mit freundlicher Unterstützung der Labour Partei für die Spiele: Flügelkämpfe und die Demonstration der allgemeinen Richtungslosigkeit Labours. Frau Thatcher weiß dagegen, was sie will: weniger Arbeitslose, die hat Arbeitslosenminister Lord Young gerade mit der 19. Erfassungsänderung unter die statistische Drei–Millionen–Grenze gedrückt; mehr Volksaktionäre, bisher acht Millionen; glückliche Arbeitgeber, die haben gerade ihre optimistischste Prognose über die Zukunft der verarbeitenden Industrie bzw. dessen, was davon noch übrig geblieben ist, abgeliefert; und eine boomende Ökonomie, die nach dem jetzt künstlich angefachten Konsumboom erst im Spätherbst in sich zusammenfallen wird. Taktisch oder nicht, das bleibt die Frage, die sich für Labour in der Tat zur Shakespearschen Schickalsalternative verdichten könnte. FORTSETZUNG VON SEITE 1