Großer Andrang zu Siegener NS–Prozeß

■ Rentner soll als Blockführer in Auschwitz sechs Menschen zu Tode gequält und an Massentötungen mit– gewirkt haben / Zum ersten Mal in größerem Ausmaß Völkermord an Sinti und Roma vor deutschem Gericht

Siegen (dpa) - Am Siegener Landgericht begann am Dienstag einer der letzten NS–Prozesse um KZ–Greuel. Oberstaatsanwalt Hans–Joachim Röseler von der Kölner Zentralstelle zur Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen in Konzentrationslagern warf dem heute in Bad Berleburg lebenden 76jährigen Rentner Ernst August König in seiner Anklage vor, 1943 und Anfang 1944 als Blockführer im Rang eines SS–Rottenführers sechs Häftlinge grausam ermordet und außerdem vorsätzlich Beihilfe zur Massentötung durch Gas geleistet zu haben. Die Taten geschahen in dem als „Zigeunerlager“ bekannt gewordenen Teil des Lagers Auschwitz–Birkenau. Der Angeklagte habe unter anderem eine hochschwangere Häftlingsfrau, die wegen ihres Zustandes bei einem Appell nicht habe stillstehen können, so lange getreten und geschlagen, bis sie leblos in einer Blutlache gelegen habe. Ein an Händen und Füßen verkrüppelter Häftling, der sich zum Aufwärmen an den Kamin gesetzt habe, sei von dem SS–Mann mit den Worten, er sei ein „unnützer Esser“, mit einem Knüppel erschlagen worden. Außerdem legte der Oberstaatsanwalt dem Angeklagten zur Last, an der Verladung und dem Abtransport von mindestens 100 Menschen in die Gaskammer beteiligt gewesen zu sein. Mit leiser Stimme berichtete der oft unkonzentriert wirkende Angeklagte, der zuvor von einem Sachverständigen nach einer Untersuchung für verhandlungsfähig erklärt worden war, zunächst über seine Kindheit und Jugend in Oberschlesien. König, der die ihm angelasteten Verbrechen bestreitet, äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma sieht in diesem Verfahren nicht nur die Verhandlung über die Taten eines einzelnen SS– Mannes, es wird hier erstmals in größerem Ausmaß vor einem deutschen Gericht der Völkermord an Sinti und Roma verhandelt werden. In Auschwitz–Birkenau wurde die für Sinti und Roma geplante „Endlösung“, der Völkermord aus rassischen Gründen, vollzogen. Diese Endlösung, die vollständige rassische Vernichtung stellt die Einmaligkeit des Schicksals von Sinti und Roma ebenso wie der Juden im Dritten Reich dar. Die Anerkennung der Leiden von Opfern und Überlebenden gehört zu den ersten Aufgaben dieses Prozesses. Die Verschleppung nach Auschwitz–Birkenau erfolgte ausschließlich mit dem Ziel der Vernichtung aller Sinti und Roma. Die Morde in Auschwitz waren nicht Exzesse einzelner Täter, sondern Schlußpunkt des geplanten Völkermordes.