Harsche Kritik an Psychiatrien

■ Baden–Württembergische Sozialministerin Schäfer weist Psychiatriekritik zurück / Klinikdirektoren ins Ministerium zitiert / Ärzte: Verwahren statt Therapieren sei Folge katastrophaler Krankenhausbedingungen

Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) - Den Vorwurf, in den psychiatrischen Landeskrankenhäusern Baden–Württembergs herrsche katastrophaler Personalmangel, hat die Sozialministerin gestern in Stuttgart zurückgewiesen. Die Landtagsfraktion der SPD hatte am Montag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Klärung der Vorwürfe beantragt. Personalintensive Therapien und ausreichende Patienten–Betreuung, so hatten Ärzte, Psychiater und Klinikdirektoren übereinstimmend erklärt, seien in den Landeskrankenhäusern fast unmöglich geworden. Die Suizidrate steige, Psychiatriepatienten würden immer häufiger mit Medikamenten „ruhiggestellt“, und die Arbeitbedingungen in den Landeskrankenhäusern seien deren in Feldlazaretten vergleichbar, hatten die Ärzte geklagt. Alles weit überzogen, meinte dazu die baden–württembergische Sozialministerin Barbara Schäfer. Wer wie die Ärzte und Klinikdirektoren das bisher Erreichte in Frage stelle, gefährde den weiteren Fortschritt der Psychiatriereform. Durch junge Ärzte, so die Ministerin, die erstmals mit der Realität psychiatrischer Landeskrankenhäuser konfrontiert seien, und ihre Situation mit „geradezu apokalyptischen Bildern beschrieben“, werde die „begonnene Integration psychisch Kran ker in die Gesellschaft torpediert“. In den vergangenen zehn Jahren, so die Ministerin, sei das Personal der Landespsychiatrien um 12 25 zwanzig Jahren, so hatten dagegen die Ärzte und Klinkdirektoren kritisiert, seien die Pflegekosten für die Patienten nicht mehr erhöht worden. Einsparungen im Gesundheitswesen würden vor allem auf dem Rücken von „Langzeitpatienten“ ausgetragen. Die personelle Verstärkung sei längst durch kürzere Arbeits– und längere Urlaubszeiten abgetragen. Der Versuch von Ärzten, Pflegepersonal und Psychiatern, mit neuen Therapien und „Behandlung statt Verwahrung“ der psychiatrischen Misere und der steigenden Zahl von Problemfällen gerecht zu werden, sei unter den jetzigen Bedingungen unmöglich. Die Direktoren der baden– württembergischen Psychiatrien Weißenau und Weinsberg, die durch Veröffentlichungen die Zustände in ihren Häusern bekanntgemacht haben, sollen jetzt ins Ministerium zitiert werden. Von disziplinarischen Maßnahmen will Ministerin Schäfer aber absehen.