Vom Mörder zum Kandidaten

■ Einer der notorischsten Kriegsfürsten von Ex–Diktator Marcos möchte gern Abgeordneter werden / In vielen Provinzen ist die politische Infrastruktur des Ex–Diktators noch intakt

Aus Manila Mark Fineman

Orlando Dulay geht es rundherum gut. Entspannt sitzt er am Rand seines Swimmingpools, spielt mit ein paar zahmen Kaninchen und plaudert nebenbei mit einem Lächeln auf den Lippen über die gegen ihn anhängigen Anklagen wegen Mord, Kidnapping und Folter. Vor gut einer Woche hat der Oberste Gerichtshof in Manila seine sofortige Verhaftung wegen „ruchloser Verbrechen gegen das Volk“ angeordnet, aber das kratzt den 52jährigen ehemaligen Gouverneur, militärischen Befehlshaber und - wie viele ihn nennen - , unangefochtenen Kriegsfürsten der nordphilippinischen Quirino– Provinz wenig. Unter den Freunden, die sich an diesem Tag auf seiner Terasse versammelt haben, ist nämlich auch Oberhauptmann Dalupines, der Mann, der für Dulays Verhaftung zuständig ist. Der Offizier hat es aber nicht allzu eilig damit. Nein, sagt er, heute wolle er seinen früheren Vorgesetzten nicht mehr festnehmen. „Erst wenn der Befehl aus Manila da ist. Das kann aber eine Woche oder länger dauern, und manchmal geht die Post in der Provinz auch ganz verloren.“ Wahrscheinlich wird der Haftbefehl nicht vor dem 11. Mai an seinem Bestimmungsort ankommen. An diesem Tag nämlich wird auf den Philippinen ein neues Parlament gewählt und Orlando Dulay möchte gern Abgeordneter werden. Trotz der drei Mordanklagen, die sich alle auf die Zeit um die Präsidentschaftswahlen im Februar 86 beziehen, stehen seine Chancen nicht schlecht. Denn das politische System, das Ex–Diktator Marcos 20 Jahre lang an der Macht hielt, ist in weiten Teilen noch intakt. Und wie Dulay gibt es zig andere Politiker des alten Regimes, die sich durch Gerichtsverfahren nicht davon abhalten lassen, erneut anzutreten. Die altbewährte Mischung aus Geld, Gefälligkeiten und massivem Druck soll das erwünschte Ergebnis sichern. Beobachter schätzen, daß es den Kandidaten der Regierungskoalition von Corazon Aquino gelingen wird, im Oberhaus rund drei Viertel der 24 Senatoren zu stellen. Ob sie jedoch auch im (mächtigeren) Unterhaus die Mehrheit erringt, gilt als unsicher. Zumindest 70 der 200 Sitze werden der Rechten zugetraut. Neben Dulay kandidiert zum Beispiel der ehemalige Minister für Tourismus, Jose Aspinas. Ihm wird vorgeworfen, in die Ermordung von Ninoy Aquino, dem seligen Ehemann der Präsidentin, verwickelt zu sein. Oder auch Ismael Mattay, einem bekannten Protege von Marcos–Gattin Imelda. Allein elf von 122 Kandidaten der Regierungskoalition gehörten früher der Marcos–Partei KBL an. Die Regierung weiß das natür lich, doch es fehlt an loyalen und fähigen Bewerbern. So sitzt denn Orlando Dulay immer noch - wie auch in den vergangenen 16 Jahren - mit den Bürgermeistern der Quirino–Provinz im Garten. Sie sind ihm nicht gram, denn in der Vergangenheit erhielt jeder von ihnen eine Belohnung von 250 Dollar für das richtige Wahlergebnis in seinem Ort, und auch als der Vietnamveteran von der Lächerlichkeit der Anklagen gegen ihn erzählt, wird kein Widerspruch laut: „Guckt euch Onkel Sam an. Die USA haben die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Das war wirklich Genozid. Wen hats gekümmert? Schließlich haben sie den Krieg gewonnen. Also, warum macht man hier wegen zwei, drei Toten so ein Aufheben. Es kommt darauf an, daß ich gewinne.“ Die „zwei, drei Toten“ sind in Wirklichkeit einige mehr. Zeugenaussagen zufolge kidnappten, folterten und ermordeten Dulay und seine Privatarmee zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl im Februar 1986 zwei Wahlhelfer von Corazon Aquino. Kurz darauf wurden die Leichen erhängt aufgefunden, der Sohn des Wahlhelfers lag nebenan tot in einem Abwasserkanal. In einem einzigen Dorf in der Quirino–Provinz gewann Corazon Aquino damals die Mehrheit der Stimmen. Die Töchter von drei bekannten Oppositionsanhängern wurden daraufhin ebenfalls ermordet. Als man sie fand, prangten „I love Marcos“– Sticker auf ihren geschändeten Körpern. Wegen der letztgenannten Verbrechen wird nicht einmal ermittelt. Mein Königreich Nach Marcos Sturz wurde Dulay zwar verhaftet, doch schon kurz darauf verschwand er spurlos aus dem Militärcamp und tauchte anschließend in den USA wieder auf. Befragt, wie ihm das gelang, hüllt sich Dulay meist in Schweigen. „Aber“, so sagt er, „die Amis haben mitgemacht. Ich habe in den USA studiert, ich war in Vietnam und ich habe das Vertrauen einiger Leute gewinnen können.“ Am 18. März kehrte der Mörder Dulay unbehelligt in seine Heimat zurück. „Wenn die Wahlen vorbei sind“, meint er, „werde ich Aquino unterstützen. Aber man braucht schließlich sein Königreich, und das hier ist meins.“