Neuseeland: Abbau des Wohlfahrtsstaats

■ Frust der Staatsbediensteten / Endloses Bauernsterben / Labour Party mit unkonventionellen Reformen / Regierungswechsel im Herbst?

Von Eckart Garbe

Bis zum Zweiten Weltkrieg war Neuseeland praktisch eine britische Farm. Das Land lieferte Wolle und, seitdem es Kühlschiffe gab, auch Lammfleisch und Milchprodukte, insgesamt bis zu 90 Prozent seines Exports, nach Manchester, Birmingham und London und bekam von dort Fertigwaren und Landmaschinen zurück. Dank der Vorliebe der englischen Hausfrauen für gesalzene Butter aus dem fernen Neuseeland funktionierte dieser quasi–koloniale Austausch so gut, daß der Zweiinselstaat einen der höchsten Lebensstandards erreichte. Noch vor zwei, drei Jahrzehnten waren die Doppelinseln so reich, daß sich die Bauern jedes Jahr ein neues Auto kauften. Heute steckt Neuseeland tief in der Krise. Das Bild vom bäuerlichen Idyll, von einem gemächlichen unzerstörten Land ist längst überholt. Der Glückszustand änderte sich schon radikal in den 60er Jahren, aber vor allem seit Großbritannien EG–Mitglied ist und deshalb zuerst an Butterbergen und Rinderhalden des europäischen Kontinents nagt. Seitdem lassen sich Lammkeulen, Milch und Käse aus Neuseeland nur noch mit Mühe verkaufen, während die Preise für Wolle im Produktevergleich ohnehin rutschten. Das Land am anderen Ende der Welt büßte seine traditionellen Märkte ein, die Verkäufe stagnierten. Seit 1980 verdienen die Kiwi–Bauern nur noch einen von sieben Dollars in Großbritannien, ihrem früheren Hauptabnehmerland. Die engen Bande, die einst für gute Geschäfte sorgten, entpuppten sich als eine üble Falle. Wo Neuseeland andernorts nach alternativem Absatz suchte, wurden die Preise meist durch subventionierte EG–Exporte verdorben. So trieb, was in europäischen Viehställen passierte und was die EG in Brüssel beschloß, fernab in Neuseeland Farmen in den Ruin. Zwar stellte das Land sich nach und nach um auf Exporte in alle Welt, insbesondere nach Australien und in den pazifischen Raum, doch wie vor hundert Jahren stehen noch heute Fleisch, Wolle und Molkereiwaren ganz oben in der Exportpalette - Agrarausfuhren also, die fast überall auf Handelshemmnisse treffen. Wildbret und Kiwi–Früchte, oft veredelt als Tiefkühlkost oder Konservenschmaus, kamen zugegebenermaßen hinzu; steigende Holzexporte haben inzwischen Rekordzahlen erreicht, aber auch die Waldbestände dezimiert. Doch insgesamt decken die 8 Millionen Rinder und 70 Millionen Schafe, die auf den kargen Weiden und im bergigen Ödland des 3,3 Millionen–Seelen– Staats grasen, längst nicht mehr den Bedarf an Devisen, den Neuseeland für seine Importe braucht. Ganz im Gegensatz zum Klischee trieben teure Einfuhren an Öl, Pestiziden und Herbiziden für die keineswegs vorbildhaften Agrarfarmen des Landes die Ausgabenkurve steil in die Höhe. Weit entfernt davon, ein Paradies für Ökologen und Grüne zu sein, mit viel Platz, mit schönen Bauernhöfen, mit stets sorglosen freundlichen Menschen, zeichnet die Agrarkrise beide Neuseeland– Inseln. Vor allem die Kluft zwischen Stadt und Land erweitert sich schnell. Weder die konservative National Party, die Neuseeland vor 1984 fast zehn Jahre lang regierte, noch die jetzt regierende Labour– Party des Anti–Atom–Politikers David Lange bekam diese ökonomische Talfahrt in den Griff. Dabei agieren die zwei großen Parteien wirtschaftspolitisch in einem seltsamen Rollentausch. So wurde während der drei Amtszeiten des letzten Tory–Premiers Sir Robert Muldoon mit Lohn–, Preis– und Zinsstopps hantiert. Der rauhbeinige Piggy Muldoon setzte massiv die Staatskasse ein, regulierte auf dem Agrarmarkt herum und intervenierte auch sonst nach Herzenslust. Obendrein stellte sich das als Wunderwerk angekündigte Thing Big, ein Set an petrochemischen und schwerindustriellen Großinvestitionen, als weißer Elephant heraus. Vier Milliarden US–Dollar setzte die Staatskasse für dieses Sink Big in den Sand. Das Ergebnis: das Land verschuldete sich so extrem wie viele der bankrottesten Staaten, ohne daß die Staatseingriffe einen Weg aus der Krise zeigten. Seit drei Jahren, seitdem das Labour–Kabinett im Amt ist, wird nun dieser Interventionismus der Konservativen konterkariert. Unter der Regie des forschen Finanzministers Roger Douglas liberalisiert Labour die Wirtschaft, gibt Zinsraten frei, ermäßigt Steuern und Zölle, streicht Schutz, Kontrollen und Subventionen zusammen. Während der Staat bereits im Vorjahr ein Aktienpaket der Bank of New Zealand, der größten Geschäftsbank, über die Börse verhökert hat, ist jetzt beabsichtigt, noch vor den kommenden Wahlen einen Großteil des nationalen Öl–, Benzin– und Gasunternehmens Petrocorp zu verkaufen. Zum 1. April wurde zudem schon ein Viertel der früheren Behörden kommerzialisiert. Sie blieben zwar in Staatsbesitz, sollen sich jedoch fortan nach Profiten strecken. Das neue Management stellt die private Wirtschaft. Die Post splittete sich zum Beispiel auf in eine Briefpost, einen Telefonbetrieb und eine Bank. Unrentable Bereiche sollen ganz verschwinden. Im Kohlebergbau kam es zu Entlassungen, die Gewerkschaft der dort Beschäftigten sagte sich von Labour los. Viele Staatsbedienstete protestieren, weil die Labour Party auf ihre Kosten mutig auslöffelt, was ihr die National Party und der Weltmarkt eingebrockt hat. Zufrieden mit dem unkonventionellen Labour–Konzept ist allein die politische Mitte. Vom Bauboom in Auckland, Wellington und Christchurch profitieren Big Business und die Banken. Aber die Lasten der Krise werden ungleich verteilt. Neuseelands Superreiche parken ihre Yachten neben dem zweiten BMW vorm Ferienhaus - die ärmeren Viertel der Städte wachsen. Gewiß ist, daß die marktwirtschaftliche Demontage der heiligsten Kühe des Wohlfahrtsstaats, so wie sie der schnauzbärtige Roger Douglas betreibt, die Gewichte beim Wahlvolk verschiebt. Zum Unmut auf dem Land kommt für die Labour–Regierung erstmals der drohende Verlust von Bastionen in den großen Städten hinzu. Schon ein Stimmenrutsch von 3,5 Prozent würde sie erneut auf die Oppositionsbänke schicken. Sollte den zerstrittenen Konservativen bei den Wahlen im Herbst in den Städten ein Einbruch gelingen, dann könnte die National Party zuende privatisieren, was Labour jetzt schon entstaatlicht hat.