Verunsicherte Union

Stuttgart (taz) - Zeitgleich zur Regierungserklärung des Kanzlers forderten die baden–württembergischen Grünen gestern im Landtag eine Debatte über den Abzug der hier stationierten Pershing–II–Raketen. Umsonst. Die baden–württembergische CDU–Mehrheitsfraktion teilt, im Unterschied zu ihrem Ministerpräsidenten, offenbar das zägliche Zaudern ihres Bonner Zampano und lehnte den Antrag undiskutiert aus formalen Gründen ab. Man hielt sich für unzuständig, die Frage nach einem vollständigen Abzug aller Mittelstreckenraketen überhaupt zu debattieren; auch wenn die allesamt in Baden–Württemberg stationiert sind. Auch die bescheidene Bitte der Grünen, die Landesregierung möge doch wenigstens im deutschen Bundesrat auf den Abzug und die Verschrottung von Pershing I und II, von Cruise Missiles, aber auch SS–20, 21, 22 und 23 hinwirken, fand die verunsicherte Mehrheitsfraktion des Stuttgarter Landtags ebensowenig diskutierenswert wie eine Einstellung der Übungen und Manöver. Doch was die baden–württembergische CDU–Fraktion wie immer im Plenum en bloc beschied, überdeckt nur deren innere Zerrissenheit. Solange Ministerpräsident Lothar Späth seiner Fraktion die eigene Position zur Null– oder Null–Null–Lösung nicht mitgeteilt hat, hat man eben auch als Fraktion keine Meinung. Anders bei individueller Befragung: „Wer gestern“, so heißt es da, „von einer Politik und Frieden mit immer weniger Waffen gesprochen hat, muß jetzt prüfen, ob nicht eine von Amerikanern und Sowjets ausgehandelte doppelte Null–Lösung allemal besser sei als alle anderen Zustände vorher.“ Bei all dem Rest an atomaren Waffen, die der Welt trotz Null–Lösung erhalten blieben, sei die Frage nach konventionellen Waffen zweitrangig. Die Chance, die sich jetzt biete, solle man ergreifen. Trotz eventueller Ängste vor mangelnder Bündnistreue der Amerikaner und einem Bedürfnis nach europäischer Selbständigkeit, sei die doppelte Null–Lösung akzeptabel, meinten Landtagsabgeordnete. Andere wiederum geben sich lokal–staatsmännisch: „Die Sicherheit der Bundesrepublik sei von größter Bedeutung“, man dürfe nicht jedes Angebot der Russen blindlings annehmen. Gleichzeitig geben sie jedoch zu, daß ihr Informationsstand und ihre Kompetenz in solchen Fragen eher mangelhaft seien. Überhaupt, so ein Abgeordneter aus dem Schwarzwald, habe er auf einer wehrtechnischen Tagung gelernt, daß die Feuerkraft konventioneller Waffen der atomarer heute nur noch geringfügig nachstünde: Eine einzige Gruppe Tornados könne heute in Hamburg ebensoviel zerstören wie im ganzen Zweiten Weltkrieg zusammen. „Ich will, daß die in Bonn aufpassen“, meint der Herr aus dem Schwarzwald, denn wenn das so sei, stelle sich die Frage der Erpreßbarkeit neu. Der CDU–Landtagsabgeordnete aus dem Kreis Schwäbisch–Gmünd/Mutlangen, seit 3 1/2 Jahren sowohl mit dem dortigen Pershing–Depot konfrontiert als auch durch zahllose Raketen–Blockaden gebeutelt, wehrt ruppig ab. Er wolle zu Abrüstungsfragen, zu Null– oder Null– Null–Lösungen überhaupt nichts mehr sagen. Dietrich Willier