„Mit einer Lüge lebt es sich besser...“

■ Die Evangelische Landeskirche versetzt einen des Ehebruchs bezichtigten Pastor / Suspendierungen und Amtszuchtverfahren auch gegen schwule Pastoren / Fragen über Sexualpraktiken / Christliche Initiativen protestieren

Aus Hannover Axel Kintzinger

Wenn Protestanten protestieren, dann wird viel gesungen: „Ich träume eine Kirche, in der kein Mensch mehr lügt, wo niemand einen andern in falscher Hoffnung wiegt.“ Etwa achtzig Vertreter von christlichen Initiativen und kirchlichen Mitarbeiterverbänden versammelten sich am Mittwoch nachmittag vor dem Evangelisch–Lutherischen Kirchenamt in Hannover. Mit Gitarre und Liederzettel drückten sie ihren Unmut über das für diesen Tag vorgesehene Amtszuchtverfahren gegen den Osteroder Pastor Hans–Dieter Hellmanzig, 44, aus. Seit Oktober letzten Jahres ist er vom Dienst suspendiert und darf, so berichtet er, „keinen Kontakt mit der Gemeinde halten, nicht predigen“. Nach mehrstündiger Verhandlung einigte sich die Kirchen– Kammer darauf, Hellmanzig auf eine andere Stelle - außerhalb Osterodes - zu versetzen. Sein „Vergehen“: Er hat sich nach 19 Ehejahren scheiden lassen, und nun möchte der Pastor seine neue Freundin heiraten. Diesewar zu Beginn dieser Liebesbeziehung allerdings selbst noch verheiratet war. Diesen Sachverhalt offenbarte Hellmanzig seinem Arbeitgeber, der Evangelisch–Lutherischen Landeskirche Hannover, und daraus wird ihm „nun ein Strick gedreht“. Sowohl der Pastor als auch seine zukünftige Ehe frau wurden zu Verhören ins Landeskirchenamt beordert und sollten detailgetreu berichten, „wann, wo und wie wir miteinander geschlafen haben“. Über diese umstrittenen Methoden geht der Demonstrantenchor christlich hinweg: „Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit/ sei dem Höchsten allezeit/ der, wie er ist drei in ein/ uns in ihm läßt eines sein/ Erbarm dich, Herr.“ Nach einem ersten Redebeitrag hebt die Protestgemeinde wieder an zu singen. Einer derjenigen, die mit dem Megaphon unter einem Transparent mit der Aufschrift „Keine Liebe in der Kirche“ stehen, ist der hannoversche Pastor Hans–Jürgen Meyer. Er hat bereits ein Amtszuchtverfahren hinter sich, eine Suspendierung ebenfalls. Meyer ist schwul. Ein Dorn im Auge der Landeskirche wurde er vor allem deshalb, weil er sich zu seiner Homosexualität bekennt und, was am schwersten wiegt, mit seinem langjährigen Freund zusammenlebt. Aus gleichem Grund wurde sein hannoverscher Kollege Klaus Brinker schon vor ihm gefeuert. Brinker, Meyer und Hellmanzik wurden vom Dienst suspendiert, weil sie sich der Kirche offenbarten. „Viele kirchliche Mitarbeiter“, erklärt ein Diakon während der Kundgebung, „handeln daher lieber nach dem Motto: Schweigen und Pastor bleiben!“ Er faßte die Kritik der Demon stranten zusammen: „Wir bedauern, daß man in der Kirche mit der Lüge offenbar besser leben kann als mit der Wahrheit.“ Die Landeskirche verfolge „gerade in Fragen der Lebensführung und Sexualität eine rigorose und überstürzte Praxis, sie wird hier unglaubwürdig und verliert ihre zukunftsweisende Kraft“. Pünktlich zu Beginn des Amtszuchtverfahrens soll die Kundgebung beendet sein, da bekommen die Demonstranten prominenten Besuch. Dr. Eckart von Vietinghoff, Präsident des kirchlichen Landesamtes und Chef–Inquisitor in den Amtszuchtverfahren, mel det sich zu Wort, um sich gegen die erhobenen Vorwürfe der „Paragraphenreiterei und moralischer Rechthaberei“ zu wehren. Von Vietinghoff kündigt ein „gründliches und faires Gerichtsverfahren“ an, besteht aber „auf das Verbot des Ehebruches“. Etwas hölzern und mit verschränkten Armen steht er neben Pastor Meyer, die direkte Nähe zu dem Homosexuellen scheint ihm unangenehm; sein Blick geht an Meyer vorbei, wenn er dessen Fragen beantwortet. Vollends ungemütlich wird es für den Kirchenamtspräsidenten, als eine Behinderte mit Krücken auf ihn zugeht und mit einer scharf formulierten Rede ins Gebet nimmt. Sie war eine der Behinderten, die von Pastor Meyer bis zu seiner neuerlichen Suspendierung betreut wurden - zu ihrer vollen Zufriedenheit. Dicht an von Vietinghoff herangetreten, beendet sie ihren Angriff mit den Worten: „Sie sind nicht Jesus, eines Tages haben wir beide uns vor dem Richterstuhl zu verantworten!“. Dem Präsidenten ist die Situation sichtbar peinlich, Kameras und Mikrophone verunsichern ihn zudem. Als er sich aus der Christen– Menge löst, schallt ihm die Frage hinterher: „Wo gibts denn hier Kirchenaustrittsformulare?“