50 Jahre Zeit für Urpferdchen und Ameisenbär

■ Paläontologen kämpfen für den Erhalt der Grube Messel / Die hessische grüne Landtagsfraktion besichtigte die erdgeschichtliche Fundstätte / Die neue Landesregierung soll das „Erddenkmal“ schützen

Aus Frankfurt Heide Platen

Vor dem roten Dienstmercedes des Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Joschka Fischer, biegt ein Lastwagen in Richtung des Städtchens Messel ein. Überholen ist „nicht drin“ bei Tempo 100. So hat der Ex–Minister eine Weile lang den Werbeslogan am Heck des LKWs vor Augen: „Beton - es kommt darauf an, was man daraus macht!“ Um dies zu sehen, ist er immerhin aus der Lan deshauptstadt Wiesbaden gekommen - zusammen mit seiner kompletten Fraktion. Auf dem Parkplatz vor dem Gelände des Zweckverbandes Abfallverwertung Süd (ZAS) warten Abgeordnete, Journalisten und Bürgerinitiativler, Hobbyarchäologen und Wissenschaftler. Sie wollen die Grube Messel besichtigen, eine 50 Millionen Jahre alte Senke, um deren Erhalt seit Jahren gekämpft wird. Die ZAS verbaute hier Millionen Mark für Betonwannen, Gebäude, Pumpen. In einem Teil der Grube schüttete sie eine zwei Meter dicke Schotterschicht auf und hoffte, die Grube als Müllkippe in Betrieb nehmen zu können. Die ehemals rot–grüne Landesregierung stoppte den Bau. Paläontologen (Erforscher der Erdgeschichte, die Red.) bargen auf dem Grund des einstigen tropischen Urwaldsees so spektakuläre Fossilien wie das „Urpferdchen“, einen straußenähnlichen Laufvogel, Urvögel samt schillerndem Gefieder, Käfer, Insekten, Fledermäuse und Pflanzen. Jetzt fürchten sie den Verlust dieser in der Welt einmaligen Fundstelle. Grabungsleiter Dr. Stephan Schaal vom Frankfurter Senckenberg–Museum deutet in die 60 Meter tiefe Grube, in deren Mitte ein kleines Zelt steht. Er schildert beredt, wie hier im Eozän, vor 50 Millionen Jahren, harter Granit „fahrstuhlartig“ einbrach, ein See entstand und in der Nachfolge der Dinosaurier die Säugetiere ihren erdgeschichtlichen Siegeszug antraten. Ein Ameisenbär, „einmalig in Eu ropa“, sei gefunden worden, „fast täglich eine Fledermaus“. Außerdem seien die Funde geeignet, sich ein komplettes Bild von Tieren zu machen, von denen bisher nur Bruchstücke bekannt gewesen seien. Weitergehend lasse sich hier belegen, daß der amerikanische und der europäische Kontinent einmal durch eine Landbrücke verbunden gewesen sein müssen. Auch sei es jetzt mit feinmikroskopischen Methoden möglich, den Mageninhalt von Tieren und deren gesamte Lebensbedingungen zu erforschen. Dies alles, sagt Stephan Schaal, werde gewiß, wenn es gründlich betrieben werde, noch „wenigstens 50 Jahre Zeit“ in Anspruch nehmen. Die Wissenschaftler, die sich vor einigen Jahren noch mit einem von der ZAS bewilligten Grabungseckchen in der künftigen Müllkippe zufrieden geben wollten, sind mittlerweile mobilisiert. Weltweite Resonanz hat ihnen Mut gemacht. Sie setzen sich für die „Erhaltung dieses erdgeschichtlichen Kulturgutes“ ein und wollen, daß die Grube zum erdgeschichtlichen Denkmal erklärt wird. Am Grund der Senke, in der bis 1971 Ölschiefer abgebaut wurde, knistert es bei jedem Schritt. Die „Sohle VI“ ist bedeckt mit hauchdünnen, papierfeinen Gesteinsblättchen. Der Ölschiefer, laut Dr. Schaal eigentlich „bituminöser Tonstein“, hält sich nur in der Feuchtigkeit. An der frischen Luft zerfällt er innerhalb weniger Stunden. Deshalb sind die Grabungsarbeiten kompliziert. Die geborgenen Stücke müssen feuchtgehalten und später aus dem brüchigen Schiefer herauspräpariert und konserviert werden. Innerhalb weniger Minuten stehen alle Abgeordneten und Journalisten da und zerbröseln Gesteinsbrocken, die sonst von Museumsmitarbeiterinnen und Studenten zerteilt werden. Sie werden nicht fündig. Dafür aber freut sich der Student Michael Sauer. Er findet - gerade recht für die Fotografen - einen Urvogel. Ex–Minister Fischer dagegen hat Pech. Ihm fliegt nur ein Schauer kleiner Tonsteinbrocken um die Ohren, als ihm ein BIler allzu eifrig zeigen will, wo im Gestein denn nun die Fossilien sitzen. Neben allen Protesten der Paläontologen scheint die Grube auch sonst als Müllkippe denkbar ungeeignet. Willy Mößle von der Bürgerinitiative beschreibt ihm bekannte Ölschieferbrände, Erdrutsche, die Zufahrtsstraße sei schon mehrmals abgebrochen. Außerdem füllt sich die Grube regelmäßig mit Wasser, wenn nicht ständig abgepumpt wird. Der Untergrund ist denkbar porös. Am Ende der Führung appelliert der Abgeordnete Chris Boppel an den neuen Ministerpräsidenten Wallmann, dafür zu sorgen, daß die Grube Messel müllfrei bleibt. Er solle sie sich lieber einmal selbst ansehen. Diesen Appell wiederholt Stephan Schaal später im Senckenberg–Museum in Frankfurt. Dort zeigt er Funde aus der Messeler Grube. Zu ihnen gehört der frei präparierte straußenähnliche Vogel, kleine Raub– und Nagetiere, ein Vogel samt Federn. Auch einen Halbaffen habe man schon gefunden. Die Grünen versichern noch einmal, daß sie sich für den Erhalt der Grube einsetzen werden. „Dann werden wir aber auch andere Lösungen und Standorte mittragen müssen und das auch tun“, hatte der Fraktionsvorsitzende Fischer schon am Vormittag versprochen.