Vorzeigedemokratie für die Philippinen

■ Tausende von Kandidaten, aber Mangel an Themen bei der Parlamentswahl / Aus Manila Gebhart Körte

Zwei Ereignissen können die Filippinos derzeit kaum entkommen: der Hitze und dem politischen Werbefeldzug. Doch während am Donnerstag ein Unwetter mit ungeheuren Regengüssen das Ende einer mehrmonatigen Trockenperiode ankündigte und für eine kurzfristige Abkühlung auf milde 30 Grad Celsius sorgte, erreicht das 60tägige Trommelfeuer der Wahlkampfstrategen auf den letzten Metern vor den Kongreßwahlen am 11. Mai erst noch am Wochenende seinen Höhepunkt. Besonders die Schwarzarbeiter der Maler– und Tapeziererinnung profitieren von der Konjunktur. Mauern, Unterführungen, Pfeiler, Telefonmasten und Tore, alle verfügbaren und erdenklichen Flächen sind bereits mehrfach überklebt. Schön bunt ist es, aber die unbeabsichtigen Collagen erfüllen ihren Zweck, Namen und Gesichter einzelner Kandidaten deutlich zu präsentieren, schon lange nicht mehr. Die Aufnahmefähigkeit des Publikums ist längst ausgereizt, Programmatisches fehlt sowieso. Plärrende Lautsprecherwagen machen sogar die ruhigeren Plätze im lärmgeplagten Manila ungemütlich, und wer noch wagt, das Radio– oder Fernsehgerät einzuschalten, wird mit einer geballten Ladung an Polit–Commercials konfrontiert, die in ihrer Qualität der unerträglichen Bier–, Pickelcreme– oder Milchpulverreklame nicht nachstehen. Als einen „Anschlag auf Augen, Ohren und Intelligenz“ verwünschte der Kolumnist einer Tageszeitung diese Attacken angewidert. Imagepflege Hintergrund der verschärften Propaganda, die von den Protagonisten Ex–Verteidigungsminister Enrile, der Opposition und Ex– Marcos–Arbeitsminister Ople angeführt wird, sind die Bemühungen um ein neues Image vieler durch die Vergangenheit diskreditierten Kandidaten und der unerwartet große Andrang zu den beiden Parlamentskammern. Um die 24 Senatssitze stehen mehr als 80 Bewerber im Wettstreit, in den 200 Wahlbezirken für das Repräsentantenhaus versuchen weit über 1.000 Aspiranten ihr Glück. Auch ist der Wahlausgang nicht so eindeutig klar, wie es Frau Aquino gerne hätte. Zwar scheint ihrer Regierungskoalition zunächst eine satte Mehrheit im Senat sicher, doch die Umfrageergebnisse variieren stark und scheinen nicht besonders zuverlässig. Beinahe 100 Parteien, oft nur von regionaler oder lokaler Bedeutung, sind von der Wahlkommis sion registriert worden. Reelle Erfolgschancen auf Senatorenposten haben neben den fünf Parteien der Regierungskoalition, die ihre Kandidaten unter der „Lakas ng Bayan“–Flagge vereinigt haben, nur noch ein rechtsgerichtetes Parteienbündnis, das sich, von Enrile angeführt, als „Große Allianz für Demokratie“ (GAD) bezeichnet und - mit Abstrichen - die linksnationalistische „Allianz für eine Neue Politik“ (ANP). Die einst allmächtige Marcos–Partei KBL, die sich mit der GAD nicht auf eine gemeinsame Liste verständigen konnte und 17 eigene Kandidaten für den Senat präsentiert, scheint hingegen endgültig ausgespielt zu haben. Kaum jemand wagt vorauszusagen, wie die Wahlen zum Repräsentantenhaus ausgehen werden. Der Opposition werden insgesamt 60 bis 70 Sitze zugetraut, denn Aquino und ihre Berater haben das erklärte Ziel, in jedem Bezirk nur einen offiziellen Kandidaten aufzustellen, trotz hektischer Bemühungen und massivem Druck weit verfehlt. Zuerst brach die Partei des Vizepräsidenten Laurel, Unido, aus der Koalitionsdisziplin aus, die übrigen folgten nach kurzer Schamfrist. Grundsätze und Moral bleiben gelegentlich bei der Auswahl der Kandidaten auf der Strecke. Mindestens 20 bekannte Marcos–Günstlinge, die in ihren Heimatregionen unschlagbar schienen, wurden in die Pro–Cory–Parteien gelockt und aufgestellt. Auch ist die Administration nicht zimperlich mit der Wahl der Methoden, die den Sieg der Regierungskoalition gewährleisten sollen. Die nach dem Machtwechsel für die Übergangszeit bis zu den Lokalwahlen im Herbst 1987 neu ernannten, amtierenden Bürgermeister wurden vom Minister für Lokalregierung angewiesen, die offiziellen Kandidaten engagiert zu unterstützen. Zuwiderhandlungen werden als „Akt der Rebellion“ betrachtet, die Amtsenthebung folgt auf dem Fuß, obwohl der oberste Gerichtshof dieses Vorgehen als illegal bezeichnet. Selbst Aquino hat daran nichts auszusetzen: „Es ist nur fair, daß sie die Kandidaten der Administration unterstützen, denn wir gehören zu einer Familie.“ Während des Wahlkampfes wurde außerdem eine Gehaltsaufbesserung für die fast eine Million Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes verkündet, eine Entscheidung, die überfällig war, aber wegen des Zeitpunktes auf einhellige Kritik stieß. Noch ungenierter aber war die 100prozentige Erhöhung der Entschädigung für alle Lehrer, die zu Wahloffiziellen bestimmt wurden, verbunden mit der Aufforderung, für das Regierungslager zu stimmen. Personen statt Programme In Manilas 22 Wahlbezirken sind 300 Bewerber und 31 Parteien im Rennen. Ganze 26 gehören Basisbewegungen an oder repräsentieren unterprivilegierte Gruppen. Landesweit dominieren mächtige Familienclans, Akademiker und ehrgeizige soziale Aufsteiger mit politischen Verbindungen das Bewerberfeld, unter ihnen mehr als zehn Angehörige der Präsidentenfamilie. Auseinandersetzungen über aktuelle Probleme des Landes (Wirtschaftspolitik, Landreform, Auslandsverschuldung, Guerillakrieg) sind weitgehend unterblieben oder oberflächlich geführt worden. Wahlentscheidungen sind bis heute Personalentscheidungen geblieben, ein relativ umfassendes und vor allem eindeutiges Programm hat nur die linke ANP. Alle übrigen Parteien, zum Teil zusätzlich gehandicapt durch den Zwang zur Zusammenarbeit mit brüchigen Koalitionen, legten vage Plattformen vor. Die Wahlprozedur ist zudem so ausgelegt, daß nur Wähler mit extrem gutem Gedächtnis bestehen können. Die Wahlzetttel sind nämlich leer: Die 25 Namen (24 für den Senat und einen für den auf Distriktebene gewählten Vertreter des Repräsentantenhauses) müssen aus dem Gedächtnis aufs Papier gebracht werden, sofern nicht ein Spickzettel mit in die Kabine genommen wird. Stichproben zeigen, daß 70 Prozent der Wähler sich an nicht mehr als sechs bis acht Kandidaten erinnern können, - ein Grund mehr, daß dem Volk die Namen der Kandidaten bei jeder Gelegenheit eingehämmert werden. Hilfestellung bei der Kandidatenflut leistete auch einmal mehr die Katholische Kirche. Kardinal Sin verglich die Kandidaten der Linken mit Aussätzigen, und da auch die Rechte als „Betrüger des Volkes“ durch das Raster des Aquino–Fans fällt, bleibt für die 80 Prozent gläubiger Katholiken nichts anderes übrig, als für die Regierung zu stimmen.