Vorsicht! Volkszähler sind ausgeschwärmt!

■ Auch die VoBo–Aktionswoche beginnt heute / Rechte wollen Zähler werden Sozialbetreuer sollen Klientel aushorchen / Büros durchsucht, Treff verboten

Von unseren Korrespondenten

Berlin (taz) - Pünktlich zu der heute beginnenden Aktionswoche der mehr als 1.000 Volkszählungsboykottinitiativen in der Bundesrepublik sind jetzt auch die ersten Zähler ausgeschwärmt - zehn Tage vor dem „offiziellen“ Zählungsbeginn. An die Spitze des Zählerheeres setzte sich der nordrhein–westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD). Er stiefelte an der Seite einer Zählerin durch einen Düsseldorfer Bezirk und ein Sprecher seines Ministeriums ließ hoff nungsfroh verlauten, Schnoor könne schon „nach zwei Tagen seine Aufgabe selbständig erfüllen“. Auch in Kassel putzen Zähler/ innen schon die Klinken: Am Montag noch geschult, am Donnerstag schon unterwegs. „Beim Umfang der Bevölkerung in den Großstädten muß man eben rechtzeitig beginnen“, verkündete ein Sprecher der Erhebungsstelle den Frühstart. Laut Statistischem Landesamt bleibt es den Gemeinden überlassen, ob sie schon vor dem offiziellen Beginn der Abzählerei am 18. Mai Zähler die zu Zählenden heimsuchen lassen. Wo sich nicht Freiwillige aus teils fragwürdigen Motiven zum Zählen drängen, helfen Städte und Gemeinden nach wier vor mit sanftem und weniger sanftem Druck nach. Ein eklatantes Beispiel gibt das schwäbische Backnang: Dort sollen die Daten von Asylbewerbern, Behinderten, Suchtkranken und Nichtseßhaften von deren Sozialbetreuern selbst erhoben werden. Die Stadtverwaltung hat Sozialeinrichtungen, Anlauf– und Beratungsstellen für Nichtseßhafte und eine Wohngemeinschaft für Suchtkranke aufgefordert, mit eigenen Mitarbeitern ihre Klientel zu zählen. In einigen Fällen hatten Amtsleiter Sozialbetreuer aufgefordert, gegebenenfalls Akten zur Vervollständigung der Angaben hinzuzuziehen. Die Grünen haben wegen dieser Praxis Beschwerde bei der baden–württembergischen Datenschutzbeauftragten, Ruth Leuze, geführt. Ihre Informanten wollten aus Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes in Backnang nicht öffentlich genannt werden. Fortsetzung auf Seite 2 In Hamburg haben sich Mitglieder der zu den Wahlen kandidierenden „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ (HLA) nach eigenen Angaben als Zähler gemeldet, um unter anderem „hier illegal lebende Nicht–EG–Ausländer herauszufinden“. Nach Schätzung der Ausländerpolizei leben angeblich 40.000 nicht gemeldete Ausländer in Hamburg. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Claus–Hennig Schapper wies darauf hin, daß die HLA–Aktion einer Aufforderung zu strafbaren Handlungen gleichkäme. Falls ein Volkszähler feststelle, daß ein nicht gemeldeter Ausländer in einem Haushalt wohne, dürfe er darüber keinesfalls das Einwohner meldeamt informieren. Auch der Verband deutscher Soldaten e.V., dem auch ehemalige Mitglieder der Waffen–SS angehören, hat seine Mitglieder aufgefordert, sich „für ehrenamtliche Aufgaben im Rahmen der Zählung zur Verfügung zu stellen“. Da auf den Fragebögen auch die Frage nach der Religionszugehörigkeit gestellt wird, können die alten Kameraden wie bei der damaligen Volkszählung wieder „Juden zählen“. Die Vobo–Bewegung wird den Start der Volkszählung bis zum 16.5. mit unzähligen kleinen Aktionen, Veranstaltungen, Transparenten, Straßenfesten, Besuchen bei den örtlichen Erhebungsstellen und Dia–Schaubildern an Hauswänden gebührend feiern. Jedoch fährt die Justiz gegen Boykottwillige weiter einen harten Kurs. Am Mittwoch wurden in Mainz der AStA der Uni und der AStA der Fachhochschule II, Büros der Grünen und der Jungdemokraten sowie mehrere Wohnungen durchsucht. Beschlagnahmt wurden Flugblätter mit Aufrufen zum Volkszählungsboykott und sieben Exemplare der Studentenzeitung Uni–Express. Darin störte den Staatsanwalt der Satz: „Wer hart boykottieren will, bringt die anonymisierten Bögen zu alternativen Meldestellen.“ Die Landesvorsitzende der Judos, Marion Mück–Raab, warf gestern auf einer Pressekonferenz der Polizei vor, das Judo–Büro ohne die notwendige richterliche Anordnung durchsucht zu haben. Das Bonner Stadtblatt De Schnüss soll laut Bescheid des Amtsgerichts in ihrer seit einer Woche verkauften Ausgabe für die Herausnahme der Seiten 6–9 sorgen. Auf ihnen werde nämlich eine Anleitung zum Volkszählungsboykott gegeben. Das Amtsgericht Ansbach schließlich hat ein Verbot für das heutige Volkszählungsfest bestätigt, das unter dem Motto „Verzählnix“ im Nürnberger KOMM stattfinden sollte. In der Verbotsbegründung bemühten die Ansbacher Richter den Dialekt. Allein der mundartliche Titel „Verzählnix“ lasse auf eine unmißverständliche Boykottaufforderung schließen. „Wenn das Mundartliche als Stilmittel dem Gesagten zuweilen einen fröhlichen Charakter geben mag, so ist es andererseits (vergleiche z.B. die Dramen des Naturalismus) aber auch geeignet, dem Gesagten besonderen Nachdruck zu verleihen.“ Anstelle der verbotenen Veranstaltung findet heute abend im KOMM um 19 Uhr ein „Fest zur Meinungs– und Informationsfreiheit“ statt.