Damenfilme der deutschen Fräuleins

■ Das Festival „Femme Totale“ in Dortmund zeigte einen Rückblick auf zwanzig Jahre Frauenfilm / Pionierinnen der ersten Stunde erzählten von haarsträubenden Vorurteilen / Generationenkonflikt bei den Filmemacherinnen?

Augen und Ohren gehen leicht verloren!“ johlen Kinder in dem experimentellen Dokumentarfilm „Augenlust“ von Marille Hahne und Cathy Joritz. Einen solchen Verlust der Sinne ließ auch das Programmheft vom ersten Dortmunder Frauenfilmfestival „Femme Totale - Im Revier“ befürchten. An fünf Tagen sollte die 20jährige Geschichte des Frauenfilms in Bild und Wort rekapituliert werden. Programmatische Stichworte wie „Lichtbildung für Frauen“ und „Höhepunkte der Rezeption und Reflexion“ in Vorträgen und Diskussionen gemahnten an eine anspruchsvolle Fortbildungs–Veranstaltung und nicht an ein Festival. Zum Glück war dann alles ganz anders. Die etwa 40 Frauenfilme von 1968 bis heute umfaßten ein so breites Spektrum an Themen und Form–Experimenten, daß von ver bissen schulmeisterlicher Theorielastigkeit keine Rede sein konnte. Zudem verlieh die Uraufführung von „Laputa“, dem neuesten Spielfilm von Helma Sanders–Brahms, dem Fest zum Auftakt schon den rechten Festival–Glamour: In Anwesenheit der Regisseurin gab es Beifall, Blumen und Tränen der Rührung. Im ersten der drei Programmblöcke des Festivals war Ula Stöckls Spielfilm „Neun Leben hat die Katze“ sicher die amüsanteste Wiederentdeckung. Dieser verrückte Episodenfilm, dessen Stil an frühe Godard–Streifen erinnert, war 1968 auf den Mannheimer Filmtagen als unpolitisch und „ästhetisierend“ abgetan worden. Der Filmpreis war damals überhaupt nicht verliehen, sondern zur Anschaffung von Fahrrädern für den Vietkong verwendet worden, wie Ula Stöckl erzählte. Das Fernsehen lehnte ihren Film als pubertär ab, und die Filmkritik witzelte über den „Damen–Film des Fräulein Stöckl“. Zu Recht beklagte die Filmemacherin die unrühmliche, kurze Aufführungsgeschichte ihres Erstlings, der mit sicherem Gespür und spielerischem Witz vom Lebensgefühl junger Frauen erzählt. Eine kurze Episode aus diesem Film hat geradezu symbolische Qualität, indem sie den damals ungebrochenen männlichen Fortschrittsoptimismus entlarvt. In dieser dokumentarischen Sequenz ist der 19. Probeflug eines Senkrechtstarters der Firma Dornier festgehalten: Unter gewaltigem Getöse erhebt sich das chromblitzende Ungetüm schwerfällig gen Himmel und dreht einige Kurven. Aber bei der Landung kurz überm Boden verlassen die dicke Drohne alle Kräfte, sie sackt schwer durch, die Räder knicken weg und die Bauch landung wirbelt riesige Staubwolken auf. „Weiße Wale“ Der zweite Programmblock versammelte die Dokumentar– und Spielfilme der siebziger Jahre, die heute als die klassischen feministischen Frauenfilme gelten. „Frauen–Leben“ in Haushalt und Beruf, aber auch das Mutter–Tochter– Verhältnis sind die zentralen Themen. All diesen Filmen geht es darum, die familiären Zwänge vor dem Hintergrund von Krieg, Wirtschaftswunderzeit bzw. sozialem Elend darzustellen: „Deutschland, bleiche Mutter“ (1980) von Helma Sanders– Brahms, „Hungerjahre“ (1977) von Jutta Brückner und „Von wegen Schicksal“ (1977) von Helga Reidemeister. Ein Podiumsgespräch zu Rückschau und Bestandsaufnahme des Frauen films versammelte die vier Pionierinnen Ula Stöckl, Jutta Brückner, Helga Reidemeister und Claudia von Alemann. Rückblickend sehen sie sich als „Weiße Wale“, an die Anfang der siebziger Jahre niemand ernsthaft glauben wollte. Da galt es, sich eine „Einzelkämpfer–innen? d.S–in–Mentalität“ anzutrainieren, die auch heute noch notwendig ist, um frauenpolitische Filmprojekte durchzusetzen. Auf den Bittgängen um Finanzierung zu Fernsehredakteuren und Filmproduzenten „schleift sich der innovative Filmblick ab und was übrig bleibt, wird dann als feministischer Film subsummiert“, zog Jutta Brückner ein resigniertes Fazit. Im Gespräch wurde die Sorge um Kontinuität des politisch engagierten Frauenfilms sogar hochstilisiert zu einem Generationskonflikt zwischen der Mütter– und der Töchter–Generation des Frauenfilms. Die neue Generation Tatsächlich können die Filme des dritten Programmblocks, die überwiegend aus den achtziger Jahren stammen, als Beleg für einen gewissen Traditionsbruch angesehen werden, weil die junge Generation feministischer, überwiegend lesbischer Filmemacherinnen soziale Realitäten bewußt ausgrenzt. Der Trend geht zu verspielten Kurzfilmen, wie denen der Österreicherinnen Mara Mattuschka und zu Film–Inszenierungen von „fraulichem Sado– Maso“. Der brillanten Zusammenstellung des Filmprogramms ist es zu danken, daß der Zusammenhang letzterer Filme zu ihren Vorläufern der siebziger Jahre erkennbar wurde. Weibliche Emanzipation im Film hat sich von Anfang an in zwei parallelen Entwicklungslinien vollzogen: gesellschaftsbezogen und individuell orientiert. Zu den Vorläufern der S/M– Filme gehören Selbsterfahrungsfilme wie „Near the big chakra“, der schon 1972 den Blick auf den eigenen Körper freigab. Der 17minütige Film läßt vor den Augen des erschrockenen Publikums eine endlose Reihe von Vagina– Aufnahmen Revue passieren, bis die psychischen Barrieren überwunden sind und die individuelle Auseinandersetzung beginnen kann. Valie Export erweitert diesen „pädagogischen Anspruch“ in „...remote ... remote“ (1973) um eine weitere psychologische Dimension, den Masochismus, der die verdrängten weiblichen Aggressionen als gegen sich selbst gerichtete Zerstörungswut demonstriert. Eine junge Frau bearbeitet im Film ihre Nagelbetten mit einem Teppichmesser und verletzt sich schonungslos, ohne daß ihr unbewegter Mund eine Schmerzempfindung zeigt. Anders dagegen die S/M– Filme: sie wollen Aggressionen durch Gewaltphantasien zugleich entfesseln und nach außen lenken. Sie inszenieren eine Welt der Gewalt–Fetische, Peitschen und Fesseln, zeigen gebieterische Damen in luxuriöser Lederkleidung in dem sterilen Ambiente von Kachelwänden und kalten Lichteffekten. Inwieweit Filme wie „Mano Destra“ (1985) von Cleo Uebelmann oder „Madame X - eine absolute Herrscherin“ (1977) von Ulrike Ottinger und „Verführung: Die grausame Frau“ (1985) von Elfi Mikesch und Monika Treut die Gewaltphantasien ihrer Zuschauerinnen wirklich entfesseln und sie damit von verinnerlichten Zwängen befreien, bleibt allerdings dahingestellt. Cleo Uebelmann dreht die Wirkung ihres Films sogar bewußt um: „Die Monotonie der Wiederholung entspricht der Nötigung im S/M“. Gar nicht spektakulär und ästhetisierend, sondern in „Bildern des alltäglichen Wahnsinns“ agieren die Filmemacher Birgit und Wilhelm Hein in ihrem 1982 bei einem New York–Besuch entstandenen experimentellen Spielfilm „Love stinks“. Und hier gelingt tatsächlich eine Verbindung von gesellschaftlicher und individueller Perspektive: Zur dokumentierten Alltäglichkeit gehören die sexuellen Praktiken ebenso wie die Beobachtungen in der fremden Metropole. Die „beautiful people“ in den Galerien und die Obdachlosen in den Slums werden in harten Schnitten konfrontiert und durch verbindende Musikeinspielungen noch mit dem privaten Frust im Luxus–Appartement zusammengebracht. „Schwebend zwischen Lust und Verzweiflung“ nannte Birgit Hein diesen New Yorker Zustand. Inflation der Festivals Am Ende des Filmfests fand das Konzept der sieben „Femme–Totale“–Veranstalterinnen, ihre Ausgangsidee eines filmhistorischen Rückblicks, breite Zu alljährlich mit viel Kraftaufwand und wenig Geld ein Fest der neuesten Frauenfilme auf die Beine stellen, wußten die hiesigen günstigen Bedingungen einzuschätzen. Von einem eigenen Büro, einer einjährigen ABM–Stelle und zwei Halbtagsstellen für Büroarbeit können die Kölnerinnen nur träumen. Allerdings hatten sich die „Femme Totale“–Frauen auch nicht von vornherein auf einen bestimmten Austragungsort festgelegt. Sie boten ihr fertiges Konzept vielmehr mehreren Ruhrgebiets– Städten an und wählten dann Dortmund als diejenige mit dem großzügigsten Unterstützungsangebot aus. In der mehr als zweijährigen Vorbereitungszeit organisierten sie darüber hinaus ausreichend öffentliche Gelder, so daß Filmemacherinnen und Fachfrauen eingeladen werden konnten. Deren Teilnahme ist heute keineswegs selbstverständlich, denn in diesem Jahr könnte sie fast jede Woche ein anderes kleines Frauenfilmfest besuchen, berichtete die Herausgeberin der „Black Box“ Ellen Wittstock. „Femme Totale“ wird als nächstes mit gekürztem Programm in einer Städtetournee durchs Ruhrgebiet ziehen. Eine Dokumentation des Festivals in Buchform ist ebenfalls schon geplant. Leonore Kampe