Kunstfilm und Filmkunst

■ In Peter Greenaways neuem Film hat ein Architekt Bauchschmerzen+ZD=53 e

Cannes, Sonntagabend, 23.30 Uhr: Endlich ein Ereignis: Es regnet. Gut, es ist nur ein Platzregen von vielleicht zwei Minuten Dauer, der das Pflaster nicht mal lückenlos überzieht. Aber alles organisiert sich neu, ungefähr so, wie wenn man die Hand über einen Ameisenhaufen hält. Wirte mobilisieren die letzten Reserven an Sonnenschirmen und spannen sie über den nicht–überdachten Teil ihrer Terrasse. Die Leute rücken zusammen, Wir–Gefühl macht sich breit. Gerade als der Regen anfängt, geht die Gala–Premiere von Peter Greenaways „The belly of an architect“ zu Ende. Nichtsahnend, lemmingengleich, drängen die Soiristes nach draußen, auf die berühmte Freitreppe mit dem roten Läufer. Hunderte von Abendkleidern sind nun erstmal ruiniert. In Greenaways „The belly of an architect“ geht es um den Bauch eines Architekten. Er tut weh. Stourley Kracklite (Brian Dennehy) fängt an, vegetarisch zu essen. Alle Faschisten, sagt er in willkürlicher Umkehrung der historischen Wahrheit, seien Fleischesser. Die Schmerzen hören nicht auf. Der Arzt vermag nur harmlose Verdauungsstörungen festzustellen, aber Kracklite meint, daß seine Frau ihn vergiften will. Am Ende stellt sich heraus, daß er an Krebs leidet, vielleicht an Bauchspeicheldrüsenkrebs, ein hoffnungsloser Fall. Stourley Kracklite scheitert an Rom, wohin er mit seiner Frau gekommen ist, um eine Ausstellung über Etienne–Louis Boullee zu organisieren. Anfangs unterstützen ihn die Italiener, fragen sich dann aber, warum ausgerechnet sie das teure Ausstellungsprojekt eines Amerikaners über einen visionären französischen Architekten des 18. Jahrhunderts finanzieren sollen, der keine einzige seiner grandiosen Skizzen verwirklicht und niemals den Fuß nach Rom gesetzt hat. Kracklite verstrickt sich ins Intrigengespinst der Italiener, verliert seine Frau an den eleganten Kollegen aus höchsten römischen Kreisen (Lambert Wilson). Schließlich stürzt er sich bei der Ausstellungseröffnung rücklings aus dem Fenster. The belly of an architect ist sicher der schönste Film bisher, ein Architekturfilm mit Theaterdialogen, so wie Greenaways vorletzter Film, Der Kontrakt des Zeichners, ein Kunstfilm mit Theaterdialogen. Er hat mich ein bißchen ratlos gelassen. Manchmal hat man den Eindruck, als ob die Kamera nicht an den Gebäuden langfährt, sondern an den Hochglanz–Fotos irgendwelcher Luxuszeitschriften. Greenaway denkt über die Architektur nach, aber nicht über das Kino, dessen Mittel er nur virtuos einsetzt, um seine Thesen zu illustrieren. Rom ist in mildes Abendlicht getaucht, Glenn Branca macht Minimal–Music dazu, die Kostüme sind von Missoni. Die Schauspieler werden vor die Bilder montiert und halten Reden von exquisitem Zynismus. Immerhin! Thierry Chervel