Jugoslawiens Kumpel drohen mit Hungerstreik

■ Was anfangs als wilder Streik begann, hat nun zu einer ungewöhnlichen Solidarisierung von Arbeitern im Vielvölkerstaat Jugoslawien geführt / Nun droht eine Kraftprobe mit der Regierung Mikulic / Jugoslawische Medien unterdrücken Streikmeldungen

Aus Labin H. Hochwieler

Der Generalstreik der Bergwerksleute im nordjugoslawischen Labin geht dieser Tage in die fünfte Woche und die Fronten verhärten sich täglich. Neueste Drohung der Kumpels: Bei Nichterfüllung ihrer Forderungen werden sie in den kollektiven Hungerstreik treten und gegebenenfalls einige Kohlenschächte sprengen. Was anfangs als wilder Streik mit der Forderung hundertprozentiger Lohnerhöhung und Raus schmiß der kommunistischen Fabriksdirektoren begann, nimmt mittlerweile immer organisiertere Formen an. Aus allen Landesteilen eilten Delegationen von Bergwerksleuten nach Labin und sagten ihnen Solidaritätsstreiks zu, sollten Sicherheitsorgane sie gewaltsam in die Knie zwingen. Dies wäre das Ende der jetzigen jugoslawischen Regierung unter Ministerpräsident Branko Mikulic. Denn damit würden sich erstmals seit Kriegsende die bosni schen, serbischen, albanischen, kroatischen und ungarischen Arbeiter in dem Vielvölkerstaat an der Adria zu einer gemeinsamen Machtprobe mit der Zentralregierung zusammenschließen und dies sogar ohne die Unterstützung der Gewerkschaft. Bisher streikte jede Nation für sich. Doch nun bildet sich eine gemeinsame Front zwischen den Völkern heraus, wie die Ereignisse in Labin zeigen. „Von Anfang an fiel uns die Gewerkschaft in den Rücken“, erzählt Moham med, „die Funktionäre benehmen sich wie Hilfssheriffs für die Regierungsorgane. Aber wir kriegen es auch ohne sie hin, solange wir landesweite Unterstützung von anderen Arbeitern erfahren.“ So befand es die Gewerkschaftschefin Maria Todorovic bisher nicht für nötig, Labin einen Besuch abzustatten. Dafür kamen hohe KP–Funktionäre, die eingestanden, die „Arbeiterselbstverwaltung“, der Stolz des jugoslawischen Sozialismuskonzepts, zeige große Schwächen - aber sie fanden kein Gehör. Manch einer stieg vorzeitig in eine Luxuslimousine oder beendete schneller als vorgesehen seine Rede, da er von Pfui–Rufen ständig unterbrochen wurde. Auch die staatlich kontrollierten Medien tun sich schwer mit den Ereignissen auf der istrischen Halbinsel. Wurde vor einer Woche noch relativ breit über die Streiksituation berichtet, unterschlagen die Zeitungen nun das Ausmaß der Proteste. Der jugoslawische Journalist Duzan Bogavac landete gar hinter Gittern, weil er mit Kumpels Interviews aufzeichnen wollte. Gestern meldete Radio Ljubljana um zwölf Uhr: „Unveränderter Generalstreik auf Istrien, alle Zechen ruhen“. Zur selben Zeit kam über Radio Zagreb die knappe Meldung: „Zweihundert Kumpels gingen in die Zechen Labins hinab.“ Handelt es sich bei den 200 Bergwerksleuten nun um Streikbrecher, Verwaltungsbeamte oder unzufriedene Kumpels, die die Warnung eines Hungerstreikes wahrmachten? Oder stieg niemand in die Kohlegruben? Mehrfach berichtete die jugoslawische Presse von Wiederaufnahme der Arbeit. So steht in der neuesten Ausgabe des Wochenmagazins Danas zu lesen: In Labin wird gearbeitet. Ein Rückruf nach Istrien bestätigte gestern um 14 Uhr: Die Zechen stehen still, niemand ging unter Tage.