K O M M E N T A R Streikrichtung: Konsens

■ Eskalation in Jugoslawien

Die jugoslawische Führung ist mit ihrem Wirtschaftslatein am Ende. Den Schlußpunkt markieren die Kumpel in der Kohlezeche Rasa im kroatischen Labin, die seit fünf Wochen streiken. In ganz Jugoslawien haben sie eine Reihe von Solidaritätsstreiks ausgelöst und das ist neu. Bislang scheiterten Unzufriedene schon bei der Organisation von größeren Streiks am Mißtrauen anderer Nationalitäten im Vielvölkerstaat. Wenn doch, wie 1971 oder 1981, größere Streiks möglich wurden, mündeten sie in Gemetzel. Allein der Streik 1981 in Kosovo forderte zehn Tote und konnte von der Regierung als Nationalitätenproblem dargestellt werden. Die albanische Minderheit wollte angeblich an Albanien angeschlossen werden. Die Kumpel von Labin haben jetzt den Unmut aller Jugoslawen zusammengefaßt. Sie fordern doppelten Lohn und die Entlassung des Zechenmanagements. Bei einer Inflationsrate von 100 Prozent im letzten Jahr können nur Lohnerhöhungen die wachsende Armut im Lande in Grenzen halten. Ministerpräsident Mikulic aber sieht zur Inflation keine Alternative. Exportschwierigkeiten und Auslandsverschuldung haben zu Verlusten geführt, die über die Preiserhöhungen auf dem Binnenmarkt ausgeglichen werden sollten. Damit geben sich aber die Steikenden nicht zufrieden. Sie widersetzen sich allen Versuchen der regierungstreuen Gewerkschaften, den Streik zu beenden. Mit einem Hungerstreik in der Zeche wollen sie den Arbeitskampf noch verstärken. Die Forderung nach Auswechslung des Managements trifft auf die Zustimmung von Regierung und Volk gleichermaßen. Denn seit Jahren blockiert die Kaste der Provinzfunktionäre und Firmenmanager jegliche Reform der Regierung und Veränderungen aus der Belegschaft. Daß nun Betriebs–Delegationen aus allen Teilen Jugoslawiens gegen den Widerstand der Gewerkschaften nach Labin fahren, unterstreicht den Bankrott der jetzigen Regierungspolitik. Zum ersten Mal in der jugoslawischen Geschichte tritt der Nationalitätenkonflikt hinter die wirtschaftlichen Forderungen zurück. Dadurch entsteht die Chance unter den Arbeitnehmern, Konsens für eine Wirtschaftsreform zu entwickeln. Das könnte Jugoslawien aus der Krise helfen. Das gilt langfristig, auch wenn die jetzige Streikbewegung scheitert. Friedhelm Wachs