Kripo entlarvt Münchehagen–Lügen

■ Bericht belegt skandalöse Behördenversäumnisse seit 1971 / Giftwasser wurde in die Weser entsorgt

Aus Hannover Jürgen Voges

Eine Fülle krimineller Machenschaften hat eine Sonderkommission des Niedersächsischen Landeskriminalamts bei Betreibern und Aufsichtsbehörden der stillgelegten Giftmülldeponie Münchehagen zutage gefördert. Bereits seit 1971 war Betreibern und Aufsichtsbehörden bekannt, daß der Tonuntergrund der Giftmüllkippe wasserdurchlässig ist. In Münchehagen sind nach Ansicht der Sonderkommission insgesamt über 25.000 Tonnen giftiger Abfälle illegal eingelagert worden. Es ist immer wieder kontaminiertes Wasser einfach in die Umgebung abgeleitet worden. Dies alles war der Aufsichtsbehörde, dem Landkreis Nienburg, bekannt, ohne daß der Landkreis jemals Sanktionen gegen der Betreiber verhängt hat. Der jetzt in Hannover bekanntgewordene Abschlußbericht der „Soko 318 U“ des Niedersächsischen Landeskriminalamts liegt bereits seit November letzten Jahres der ermittelnden Staatsanwaltschaft und der Landesregierung vor. Die Sonderkommission war im November 1985 eingerichtet worden, nachdem die Landtagsfraktion der Grünen nach einem Austritt von hochgradig dioxinverseuchtem Öl in Münchehagen Strafanzeige erstattet hatte. Sie hat die gesamten Geschäftsunterlagen und Akten der verschiedenen Betreiber und auch der Aufsichtsbehörde ausgewertet, ehemalige Mitarbeiter vernommen und auch eigene Proben untersuchen lassen. Fortsetzung Seite 2 Nach Ansicht der Sonderkommission war es bereits während des Genehmigungsverfahrens für die Deponie „ersichtlich, daß möglicherweise eingelagerte Stoffe durch das Grundwasser aus der Deponie gelangen“ konnten. Dieses geht aus einem Gutachten hervor, das der Hydrogeologen Dr. Goldberg bereits am 13. Dezember 1971 erstellt hatte. Schon damals habe der Gutachter gefordert, die Deponie nach unten mit einer Folie abzudichten und nach oben mit einer Überdachung gegen den Eintritt von Regenwasser zu sichern. Diese Forderungen seien aber nicht eingehalten worden. Eigenartige Praktiken stellte die Kripo auch bei der Genehmigung der Einlagerungsanträge fest. Wollte eine Firma einen bestimmten Giftstoff in der Deponie unterbringen, so geschah es nicht selten, daß sie selbst die Gift–Analyse erstellen ließ. Nach anderen Giften, die sich zusätzlich in dem Stoff hätten befinden können, wurde dann nicht mehr gesucht. Daher weiß heute niemand, was genau sich alles in der Münchehagener Deponie befindet. Bei ihren Ermittlungen hat die Kripo unter anderem Fotos sichergestellt, die beweisen, daß beschädigte Fässer mit hochgradig TCDD–verseuchten Abfällen der französichen Firma Rhone–Poulenc im Wasser herumlagen. Wenn das Wasser zu hoch stieg, wurde es „abgepumpt und über den Vorfluter, die Weser und Kläranlagen entsorgt“. Aus den von Rhone Poulenc gelieferten Abfallpartien stammt nach Ansicht der Soko auch das ausgetretene dioxinhaltige Öl, in dem im August 1985 die weltweit höchste Konzentration an TCDD gemessen wurde. In den Geschäftsunterlagen, so heißt es zusammenfassend in dem Soko–Bericht, sei eine Vielzahl von Vermerken, Protokollen und Berichten gefunden worden, aus denen Verstöße gegen die Plangenehmigung und den Betriebsplan der Deponie hervorgingen. Bei keinem dieser zahlreichen Verstöße sei es allerdings zu irgendeiner Sanktion seitens der Behörden gegenüber den Betreibern gekommen. Die Staatsanwaltschaft Verden/Aller soll deshalb auch überprüfen, ob beim Landkreis Nienburg eine Amtspflichtverletzung vorliege.