Nach 34 Jahren: Barbie vor Gericht

■ Seit gestern wird gegen den „Schlächter von Lyon“, den ehemaligen Gestapo–Chef der Stadt, verhandelt / Klaus Barbie ist wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt / Kein Schauprozeß, aber Elemente einer Show bei Prozeßbeginn

Aus Lyon Lothar Baier

Pünktlich um 13 Uhr ist der Prozeß gegen den ehemaligen GestapoChef von Lyon Klaus Barbie vor dem Schwurgericht Lyon eröffnet worden. Eine halbe Stunde vor Prozeßbeginn war der Polizeitransporter vorgefahren, von Scharfschützen auf den Dächern gesichert. Nur wenige ausgewählte Fotografen und Kameraleute wurden in den Gerichtssaal eingelassen, um den hinter einer Panzerglasscheibe sitzenden Angeklagten ablichten zu können. Welche Taten aus seiner zweijährigen Herrschaft als Gestapo– Chef können Barbie jetzt noch nachgewiesen werden? Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Beteiligung an drei Aktionen vor, die vom Gesetz, das „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ unter Strafe stellt, umfaßt werden. Einmal die am 9. Februar 1943 ausgeführte Razzia gegen den Sitz der „Union general des Israelites de France“ in der Rue Sainte–Catherine von Lyon; 84 dabei festgenommene Juden wurden nach Auschwitz verschleppt, nur einer von ihnen kam lebend aus dem Vernichtungslager heraus. Am 6. April 1944 wurden 44 jüdische Kinder im Alter zwischen drei und 13 Jahren sowie sieben Erwach sene aus einem Ferienheim in Izieu von einem Trupp Barbies abgeführt; bis auf eine Frau erlitten sie alle wenige Tager später den Tod in den Gaskammern von Auschwitz. Das Vollzugstelegramm über diese Deportation ist erhalten und trägt die - allerdings nicht handschriftliche - Unterschrift des damaligen SS–Obersturmführers Barbie. Dieser stellte am 11. August 1944 in Lyon, knapp zwei Wochen vor dem Abzug der deutschen Truppen, den letzten Deportationszug zusammen, mit welchem 650 Häftlinge, davon die Hälfte Juden, ins KZ abtransportiert wurden; für nachweislich mindestens 106 Personen führte diese Verschleppung in den Tod. Formal beschränkt sich die Anklage gegen Barbie auf Beihilfe zum Mord in 16 namentlich genannten sowie „mehreren Dutzend“ nicht weiter spezifizierten Fällen sowie auf Entführung und Verschleppung von 59 Minderjährigen. Dem Angeklagten droht die Höchststrafe von lebenslänglich Gefängnis. Wer ist überhaupt der Angeklagte, der mit seinem einzigen Verteidiger Jacques Verges einer Phalanx von drei Dutzend Anwälten der Nebenklage gegenübersitzt? „Klaus Altmann“, antwortet Barbie auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden Andre Cerdini nach seinem Namen. Provokation des ehemaligen SS–Obersturmführers an die Adresse eines Gerichts, das er nicht anerkennt? Nicht ganz: Denn er hat erklärt, der Sohn von Nikolaus Barbie, geboren 1913 in Bad Godesberg, zu sein. Seit die bolivianische Regierung ihn unter dem Namen Klaus Altmann eingebürgert hat, gibt es keine Papiere mehr, die auf den Namen Klaus Barbie lauten. Man erfährt nebenbei, daß Barbies bolivianische Papiere nach der Ankunft in Lyon spurlos verschwunden sind. Zwei Stunden nach Eröffnung ist schon deutlich geworden, auf welche Schwierigkeiten die Ausweitung der Anklage gegen Barbie stößt. Ein Anwalt, der die Witwe eines britischen, von der Lyoner Gestapo verhafteten und nach Mauthausen deportierten Offiziers vertritt, ist aus formaljuristischen Gründen nicht als Nebenkläger zugelassen worden. Weitere Zulassungsanträge folgen: Mag sich hinter jedem Namen auch ein grauenhaftes Schicksal verbergen, so läßt sich der Eindruck nicht wegwischen, daß es manchem auch darum geht, in allerletzter Minute noch Zutritt zu der großen Show zu erhalten. Die Versuchung dazu wurde von der auf Taten gegen die Resistance ausgeweiteten Anklage nahegelegt. In Lyon wird kein Schauprozeß geführt, aber alle Elemente einer großen Show sind versammelt. 800 Journalisten wurden akkreditiert. Im Zuschauerraum findet man prominente Politiker wie den früheren sozialistischen Verteidigungsminister Charles Hernu. Der frühere Außenminister Roland Dumas zählt zu den Anwälten der Nebenklage. Zeugen werden erscheinen, deren Namen - von Marguerite Duras bis Gerd Bastian - eine Neugier wecken, die weder den zu verhandelnden Taten noch der Erhellung der Nazivergangenheit gilt.