Fatalite

■ „Pierre et Djemila“ von Gerard Blain: Ideenlose Voraussehbarkeit

Das Festival ist müde, die Festivaliers sind müde, müde und hektisch kreist die Maschine um sich selbst und produziert bisher nicht viel mehr als einen lauen Luftzug. Die Sonne scheint wieder, aber der anfängliche Optimismus ist verflogen, sie schafft es nicht, die Atmosphäre aufzuheizen. Kein Film ist begeisternd, keiner macht wütend, nett und doof sind die extremsten Urteile. Pierre et Djemila heißt der zweite französische Beitrag im Wettbewerb. In diesem Film (Regie: Gerard Blain) kommt alles, wie es kommen muß, und das ist fatal, denn es ist nicht Unausweichlichkeit, die Fatalität der Tragödien, sondern - wider das Gerede im Presseheft - ideenlose, faule Voraussehbarkeit. Djemila ist 14 Jahre alt, Schülerin und sehr hübsch. Sie wohnt im selben Betonkasten am Stadtrand wie Pierre, der ihr jedesmal, wenn er sie sieht, und so gut es ein Laienschauspie ler eben kann, Augen macht. An diesem Punkt ist der Film fünf Minuten alt und doch ist bereits alles klar: 1.: Die beiden werden sich verlieben. 2.: Djemila ist Algerierin, längst ist bestimmt, wann und wen sie heiraten soll, ihre Familie wird die Freundschaft mit Pierre nicht dulden können. 3.: Djemilas Bruder wird Pierre erstechen. 4.: Djemila wird ins Wasser gehen. Einfachheit ist eine Tugend, und Tugend muß, wie eine lange französisch–katholische Tradition von Racine (der unverschämterweise im Presseheft zitiert wird), Rohmer und Bresson lehrt, geübt werden. Schon daß sich in Blains Film überhaupt die Kamera bewegte, ist eitel und aufdringlich und vor allem: Verrat an den Darstellern. Denn Fahrten und Schwenks sind Mittel des kommerziellen Erzähl–Kinos, an denen man unwillkürlich auch die Schauspieler mißt. Bei Laien sieht man dann nur, daß sie eben keine Profis sind, und ist peinlich berührt. Blains Verbrechen ist es, die Steifheit ihres Spiels und ihrer Gesten nicht zum ästhetischen Ausgangspunkt seiner Bilder gemacht und die Eckigkeit und lange Dauer der festen Einstellungen nicht gegen den Schluß der Fahrten gesetzt zu haben. Er ist unentschieden, ob sein Film eine Tragödie oder eine Erzählung sein soll. Das eine wäre das ewige Spiel von Liebe und Tod, also amoralisch, weil unabänderlich, das andere wäre politisch, nämlich moralisch, weil Geschichten nun mal eine Moral haben. Aber wo liegt Blains Engagement? Pocht er auf Djemilas Recht, sich frei zu entscheiden, so wendet er sich gegen das Recht der algerischen Familien, ihre Verhältnisse, also auch die Rollen der Frauen, selbst zu bestimmen, und umgekehrt. Darf er als Franzose diesen Film überhaupt machen? Das Schlimme ist nicht, daß Blain keine Antwort auf das Problem hat, sondern daß er es nicht wahrnehmen will und sich, wie die meisten Linken, hindurchlaviert. Thierry Chervel