Das italienische Kino ( 1987)

■ F. Rosi und die Gebrüder Taviani im Kino - nichts gegen Monica Vitti auf der Straße

Gerade war Paul Newmans Glasmenagerie (nach Tennesse Williams) gelaufen, es war die Nacht zum letzten Festivaltag, und ich war auf dem Weg in eine Kneipe, um mich bei einem Bier zu entspannen, da hatte ich eine tröstliche Erscheinung: Eine Frau kam mir entgegen, sehr blond, mittelgroß, etwa 50, schwarzes Kostüm und roter Schal, dunkle Hornbrille mit kleinen getönten Gläsern, sie hatte sich bei einem älteren Mann untergehakt, der nicht aussah wie Michelangelo Antonioni, mit dem sie angeregt rauh– und tiefstimmig konversierte. Erst als sie schon fast an mir vorbei war, erkannte ich sie und drehte mich nach ihr um, damit ich mich meines Eindrucks aus respektvoller Distanz nochmals versichern konnte. Kurz: Ich bin des Anblicks, und, wie ich mir einbilde, auch eines kurzen Blicks von Monica Vitti, der Einzigen, teilhaftig geworden. Es hat sich also gelohnt, nach Cannes zu kommen, dachte ich, traurig nur, daß das italienische Kino solche anbetungswürdigen Schauspielerinnen heute nicht mehr hervorbringt. Die beiden italienischen Filme des bisherigen Programms - Francesco Rosis Chronik eines angekündigten Todes und Good Morning Babilonia von den Gebr. Taviani - waren maßlos enttäuschend. Rosi galt einmal als einer, der den Film, die Kunst, unerbittlich mit der Wirklichkeit konfrontierte. Die Kunst sollte nicht das sein, was die Wirklichkeit vergessen macht. Noch in seiner Carmen–Verfilmung, die bei der Kritik zu Unrecht unbeliebt war, sah man zu den Tönen der fröhlich lärmenden Ouvertüre den Todeskampf eines vom Torrero niedergestreckten Stiers. In Chronik... hat Rosi seinen Blick verloren. Von Gabriel Garcia Marquez Novelle bleibt nur das grobe Gerüst, von Kolumbien ein Reisebürowerbevideo mit vielen herzigen Tierbildern, von Santiago Nasars Tod ein mattes Abbild. Wie ein Schwein wird er abgeschlachtet, heißt es in Marquez Novelle, schließlich sind Santiagos Mörder Schlachter von Beruf. In Rosis Film stirbt er einen Fernsehserientod: Wie ihn die Mörder verfolgen, wie er beweist, daß er um sein Leben laufen muß, ihm das Tor vor der Nase zugeschlagen und das Messer in den Leib gerammt wird - alles genau so, wie man es kennt, mit Routine inszeniert, korrekt, mit etwas schmerzverzerrtem Gesicht und letztem Seufzer. Aber wenn man in einem solchen Moment nicht versucht ist wegzusehen, braucht man gar nicht erst hinzusehen. Warum Good Morning Babilonia von den Tavianis beim Publikum hier so gut ankam, ist mir schleierhaft. Vielleicht, weil es sich (schon wieder!) um einen Film im Film handelt, und weil dieses sentimentale Genre dem hiesigen Milieu schmeichelt. Der Film spielt zur Stummfilmzeit: Zwei Brüder aus der Toskana, Steinmetze, gehen nach Hollywood, wo sie die Bauten für Griffiths Intolerance schaffen, Italiens glorreicher Beitrag zur Frühzeit des Films, die Tavianis sind da durchaus Chauvinisten. Am Ende gehen die beiden wieder nach Italien und sterben im ersten Weltkrieg gemeinsam den Heldentod, wobei sie sich gegenseitig filmen, um ihren beiden Söhnen ein Bild von ihnen zu überliefern. Es ist zu lächerlich. Setzen wir unsere Hoffnungen auf Fellinis Intervista. Thierry Chervel